„Politisches Massaker“ an Oppositionellen / Interview mit Juri Luzenko
ostpol: Herr Luzenko, Sie sitzen schon seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Wie sind die Haftbedingungen?
Luzenko: Ich sitze in einer neun Quadratmeter großen Zelle zusammen mit drei anderen Gefangenen. In unserem Trakt sind sonst Mörder eingesperrt. Ich schlafe auf einer eisernen Pritsche, in der Mitte der Zelle stehen ein Tisch und Stühle aus Backstein. Einmal am Tag darf ich für eine Stunde im Gefängnishof spazieren.
Sie sind nicht der einzige Oppositionspolitiker in der Ukraine, der inhaftiert wurde. Vergangene Woche wurde der Prozess gegen ihre politische Mitstreiterin Julia Timoschenko eröffnet. Sie gilt als treibende Kraft der Orangenen Revolution von 2004, auch sie könnte im Gefängnis landen. Ist die Orangene Revolution, durch die mehr Demokratie erkämpft wurde, gescheitert?
Luzenko: Ich würde nicht sagen, dass die Orangene Revolution gescheitert ist. Doch Präsident Viktor Juschtschenko hatte es nicht geschafft, das Land effektiv zu reformieren. Stattdessen hat er sich einen Machtkampf mit Timoschenko geliefert. Reformen wurden aufgrund persönlicher Querelen nicht umgesetzt. Trotzdem haben wir viel erreicht, zum Beispiel mehr Pressefreiheit. Das lässt sich nicht so einfach rückgängig machen. Die Opposition muss sich jetzt zusammenschließen und eine Strategie für die Parlamentswahlen 2012 ausarbeiten.
Laut Anklage sollen Sie Ihrem Chauffeur einen lukrativen Job beschafft haben, als Sie noch Innenminister waren. Gegen so eine Vetternwirtschaft haben Sie doch gekämpft?
Luzenko: Ich möchte klarstellen, dass ich mich während meiner Amtszeit niemals persönlich bereichert habe. Mein Chauffeur war ein Offizier in der Abteilung für Personenschutz. Ich habe ihn für ein ziviles Amt im Innenministerium vorgeschlagen. Das Büro des Vizepremierministers wusste davon. Dass Leute befördert wurden, war und ist übliche Praxis. Aus dieser Angelegenheit will man mir einen Strick drehen.
Juri Luzenko gehörte zu den führenden Köpfen der Orangenen Revolution, die im Dezember 2004 demokratische Reformen in der Ukraine einleitete. Unter der Regierung Timoschenko war er Innenminister. Nach dem Machtantritt des pro-russischen Präsidenten Janukowitsch im Februar 2010 verschärfte sich die politische Lage im Land. Im Dezember wurde Luzenko festgenommen, seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Internationale Beobachter vermuten, dass durch die Prozesse gegen Timoschenko und Luzenko die Opposition ausgeschaltet werden soll.
Ihr Anwalt behauptet, der Prozess gegen Sie sei nicht fair.
Luzenko: Das ist kein Strafverfahren, sondern ein politisches Massaker. Beweise und Zeugenaussagen, die mein Anwalt vorbringen wollte, hat das Gericht ignoriert. Eine Verhandlung fand sogar ohne meinen Anwalt statt. Es scheint, als ob meine Schuld für das Gericht schon feststeht. Die jetzige Regierung hat mich immer als eine Symbolfigur der Orangenen Revolution gesehen, deshalb wollen sie mich und andere Oppositionspolitiker aus dem Weg räumen. Es gibt in der Ukraine einen Obersten Justizrat, das ist ein Gremium, welches für die Ernennung von Richtern zuständig ist. In diesem Justizrat ist ausgerechnet der Generalstaatsanwalt, also mein Ankläger, vertreten. Die Regierung benutzt die Justiz, um die Opposition auszuschalten.
Präsident Viktor Janukowitsch zieht die Zügel in der Ukraine immer fester an. Könnte es Proteste geben wie in der arabischen Welt? Und wie sollte die Europäische Union reagieren?
Luzenko: Ich hoffe nicht, dass es Proteste geben wird, die dann in Gewalt umschlagen. Demokratische Veränderungen in der Ukraine müssen friedlich ablaufen. Obwohl sich Janukowitsch von den europäischen Werten entfernt, sollte die EU die Ukraine unterstützen. Zum Beispiel müssen die Verhandlungen über das geplante Assoziierungsabkommen weitergehen. Janukowitsch wird nicht ewig an der Macht bleiben. Die EU darf die Ukraine jetzt nicht im Stich lassen.