Belarus

Belarussische Universität im Exil

(n-ost) – Die Europäische Humanistische Universität (EHU) galt als beste Hochschule von Belarus. 2004 jedoch ließ Alleinherrscher Lukaschenko die Uni schließen, seit 2005 findet der Unterricht in Vilnius statt. Die 1.800 EHU-Studenten leben in zwei Welten: Sie genießen die Freiheit des EU-Lands Litauen und die exzellente Ausbildung – und hoffen auf Demokratisierung in der Heimat. Mehrere Studenten und Dozenten unterstützten bei der letzten Wahl Oppositionskandidaten. Ein Besuch auf dem Campus.

Von außen wirkt alles ruhig. Mitten im Wald, in einem Außenbezirk von Vilnius, liegt der Campus der Europäischen Humanistischen Universität (EHU). In einem Büro im Erdgeschoss blickt Maksim Milto gespannt auf den Bildschirm: „In mindestens 30 belarussischen Städten sind Tausende auf die Straßen gegangen und haben gegen Alexander Lukaschenko protestiert.“ Der 19-Jährige schaut ein Internet-Video über die Proteste in Minsk an und sucht parallel nach Informationen. 450 Regierungsgegner seien vorübergehend festgenommen worden, berichtet Maksim, sowie mindestens fünf Journalisten.

Obwohl Maksim in der litauischen Hauptstadt an der EHU studiert und deswegen knapp 200 Kilometer von Minsk entfernt ist, weiß er genau, was in seiner Heimat Belarus passiert. Mit seinem belarussischen Kommilitonen Andrej verfolgt er die Ereignisse übers Internet. Eines jedoch möchte Andrej festhalten: „Wir werden hier nicht zu Revolutionären erzogen.“ Überall fragten sich Studenten, ob in ihrer Gesellschaft alles in Ordnung sei. Auch Rektor Anatoli Michailow betont stets, dass sich die EHU aus der Politik heraus halte: „Wir bilden keine Oppositionellen aus, sondern Spezialisten, die Belarus beim Übergang zur Demokratie helfen.“


Gehört zur jungen Elite: Maksim Milto, der 19-jährige Sprecher der belarussischen EHU-Universität. Foto: Matthias Kolb, n-ost

Doch Alexander Lukaschenko, der oft als „Europas letzter Diktator“ bezeichnet wird, sah schon in diesem Ansatz ein Vergehen. Er ließ die EHU, die 1992 in Minsk gegründet worden war und als beste Hochschule des Landes galt, 2004 schließen. Seit 2005 findet der Unterricht deshalb in Vilnius statt. Die Studenten durchlaufen ein aufwändiges Bewerbungsverfahren. Maksims Kommilitonin Maria zahlt für ihr Bachelorstudium jährlich 1.200 Euro. Doch dank internationaler Stipendienprogramme können auch Kinder aus ärmeren Familien an der EHU studieren. Maria schätzt auch die Berechenbarkeit: „Es wäre teurer, in Belarus zu studieren. Zumal dort die Höhe der Gebühren schwankt.“ Äußerlich sind Maria, Maksim und Andrej nicht von litauischen Studenten zu unterscheiden. Sie besitzen schicke Handys und würden auch in Berlin nicht auffallen. Die Ausbildung in technischen Fächern sei gut in Belarus, doch kritisches Denken sei unerwünscht, berichtet Maksim. „Was soll ich in einem sozialwissenschaftlichen Studium lernen, wenn Kurse im Fach Ideologie vorgegeben sind?“, fragt er. Obwohl über Politik nur mit Freunden und in der Familie geredet werde, sei das Thema überall präsent.

Die Leute aus dem EHU-Kosmos spielen in der Opposition eine wichtige Rolle. Etwa 100 Studenten waren als Wahlbeobachter bei den Kommunal- sowie die Präsidentschaftswahlen dabei, andere engagierten sich für Gegenkandidaten. Regelmäßig würden EHU-Kommilitonen verhaftet, weshalb das Verfassen von Beschwerdebriefen an internationale Organisationen zu Maksims Alltag als Studentensprecher gehört. Wie unterschiedlich der Alltag in den beiden Nachbarstaaten ist, illustriert Maksim mit zwei Beispielen. Jährlich dürften 28 Studenten von allen belarussischen Hochschulen am Erasmus-Programm teilnehmen, während von Litauen aus 7.000 junge Leute nach Europa aufbrechen würden. „Dabei leben in Belarus drei Mal so viele Menschen wie in Litauen.“


Hier wird in vielen verschiedenen Sprachen studiert: Der Eingang der EHU-Universität in Vilnius. Foto: Matthias Kolb, n-ost

Noch erschreckender sei die Überwachung von sozialen Netzwerken wie Facebook und dem russischen Pendant VKontakte. „Studenten an staatlichen Hochschulen, die nach der Wahl Lukaschenko-kritische Sprüche oder Slogans wie ‚Freiheit für Belarus‘ an ihre Pinnwand schrieben, wurden zum Rektor vorgeladen und ins Kreuzverhör genommen“, schildert Maria.

Nach dem Studium in Vilnius gehen zahlreiche EHU-Studenten in die USA oder nach Westeuropa, um zu promovieren oder einen Master zu machen. Viele kehren auch nach Belarus zurück, um sich dort selbstständig zu machen oder für eine Nichtregierungsorganisation zu arbeiten. Die Verbundenheit mit der Heimat bleibe für viele groß, berichtet Maria aus eigener Erfahrung: „Ich fahre alle zwei Wochen nach Minsk. Probleme mit den Grenzbeamten sind zum Glück sehr selten.“

Am 3. Juli wird Maksim wieder nach Minsk fahren: Dieser Tag wurde von Lukaschenko zum Unabhängigkeitstag erklärt. „Mit der Geschichte unseres Landes hat das nichts zu tun“, schimpft Maksim und grinst gleich wieder. An einem solchen Tag könne das Regime nicht verhindern, dass die Bürger auf die Straßen gingen – Maksim, Maria und Andrej hoffen, dass sehr viele aus Protest klatschen werden.


Weitere Artikel