Timoschenko erwartet „Schauprozess“
Julia Timoschenko, ehemalige Ministerpräsidentin und derzeitige Oppositionsführerin der Ukraine, steht vor Gericht. Der Vorwurf: Amtsmissbrauch. Bei einer Verurteilung drohen der Politikerin mit dem traditionell geflochtenen, blonden Zopf im schlimmsten Fall sieben bis zehn Jahre Haft.
Insgesamt ist die Ikone der Orangenen Revolution von 2004 in drei Fällen angeklagt. Während ihrer Regierungszeit (2007-2010) soll sie 200 Millionen Euro von insgesamt 326 Millionen Euro veruntreut haben, die die Ukraine 2009 aus Emissionsverkäufen von Japan erhalten hatte. Anstatt in Umweltprojekte, sollen Teile des Geldes in die Rentenkasse geflossen sein. Das zweite Strafverfahren beschuldigt sie, die Anschaffung von 1.000 Rettungsfahrzeugen verantwortet zu haben, die für ihren medizinischen Zweck nicht geeignet gewesen seien.
Freitag steht sie für die Unterzeichnung der Gasverträge mit Russland im Januar 2009 vor dem Richter. Als Premierministerin soll sie ihre Autorität überschritten und ohne Rücksprache mit dem Kabinett, den Gas-Verträgen mit Russland zugestimmt haben. Mitten in der Gas-Krise, die Europa zwei Wochen in Atem hielt, sollen Timoschenko und ihr russischer Amtskollege, Wladimir Putin, vereinbart haben, dass die Ukraine 450 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter akzeptiert und damit einen der höchsten Gaspreise in Europa zahlt. In der Anklage ist von einem „Deal“ die Rede. Demnach habe Russland Timoschenko persönliche Schulden in Höhe von rund 320 Millionen Euro erlassen.
Die Geschichte geht zurück bis ins Jahr 1996. Damals leitete Timoschenko den Energiekonzern Vereinigte Energiesysteme der Ukraine (VES). Die Verbindlichkeiten, sollen bei einem Geschäft mit dem russischen Verteidigungsministerium entstanden sein.
Die Beschuldigte hält diese Vorwürfe für konstruiert. „Der ukrainische Staat hat VES 1997 enteignet und weite Teile des Vermögens eingezogen. Davon hätte man alle Schulden bezahlen können“, sagte Julia Timoschenko auf einer Pressekonferenz in Kiew. Einer ihrer politischen Widersacher, Regierungschef Nikolai Asarow, hatte in den 1990er Jahren die Steuer- und Zollbehörde der Ukraine mit harter Hand geführt. Derzeit steht er selber unter starkem Druck. Seit über einem Jahr verhandelt er mit Russland erfolglos über einen neuen Gas-Vertrag und einen Grundpreis von 200 US Dollar.
Timoschenko drohen bei einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft. Erwartet wird eine Bewährungsstrafe, doch selbst dann wäre sie für viele Jahre von allen politischen Ämtern ausgeschlossen. Mit einer Vorstrafe darf sie weder wählen, noch für ein politisches Amt kandidieren. Ihr Anwalt Sergej Wlasenko hat am Dienstag vorsorglich Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
Neben Timoschenkos Prozess werden in der Ukraine derzeit mehrere Gerichtserfahren verhandelt. Auffallend ist, dass dabei meistens ehemalige Mitglieder des Timoschenko-Kabinetts vor dem Kadi stehen. „Die derzeitige Strafverfolgung ist eine Mischung aus politischer Rache, getarnt als Anti-Korruptionsbekämpfung“, sagt Vladimir Fessenko, Direktor am Zentrum für politische Studien, Penta in Kiew.
Mit dem Regierungswechsel und dem Amtsantritt des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch hat sich das politische Klima in der Ukraine merklich abgekühlt. Ein Bericht von Freedom House hat Anfang dieses Jahres den Status der Ukraine von „freies“ in „nicht mehr freies Land“ heruntergestuft. Auch Medien und NGOs klagen über zunehmende Zensur, Gängelei und Intransparenz. Das Europäische Parlament hat in den vergangenen zwölf Monaten mehrere Resolutionen gegen die Ukraine verfasst und wiederholt die enge Verflechtung von Justiz, Geheimdienst und Wirtschaft zur Politik beklagt.
Richter Rodion Kireev, der über Timoschenkos weiteres politisches Schicksal bestimmen wird, wurde erst vor wenigen Wochen an das zuständige Gericht Kiew-Peschersk versetzt. Er ist Berufseinsteiger und hat insgesamt gerade mal zwei Jahre an einem Provinzgericht gearbeitet. Der Generalstaatsanwalt des Landes, Viktor Pschoka, gilt als enger Weggefährte von Präsident Janukowitsch und wurde im November vergangenen Jahres auf das höchste Richteramt befördert. Danach startete die Strafverfolgung gegen Timoschenko, Ex-Wirtschaftsminister Danilischin erhielt politisches Asyl in Tschechien und der ehemalige Innenminister Juri Luzenko wurde verhaftet.
Beobachter wie Fessenko gehen davon aus, dass es nur wenige Verhandlungstage geben wird. Julia Timoschenko ist sich sicher: „Dieser Schauprozess findet auf persönlichen Befehl von Präsident Janukowitsch statt und ist ein weiterer Versuch, mich politisch zu zerstören. Das Urteil liegt bereits unterschrieben und abgestempelt in der Schublade.“ Doch die zierliche Frau will sich nicht unterkriegen lassen: „Ich werde weitermachen, egal von wo aus das sein wird“, sagte sie kurz vor Prozesseröffnung.