Weniger Deutsch auf dem Stundenplan
In das hellblaue Gebäude der Firma RWE-IT Slovakia in der zweitgrößten slowakischen Stadt Kosice strömen jeden Morgen 270 IT-Ingenieure und Entwickler zur Arbeit. Die meisten slowakischen Mitarbeiter des Unternehmens übernehmen per Telefon den IT-Service für die Angestellten des RWE-Konzerns in Deutschland, darüber hinaus entwickeln sie IT-Lösungen für den deutschen Mutterkonzern. „Von unseren Mitarbeitern erwarten wir Deutsch- und Englischkenntnisse, weil sie den direkten Kontakt zu unseren Kunden in Deutschland haben“, erklärt der deutsche Geschäftsführer der RWE-IT-Slovakia Olaf Baumann.
Doch ab dem neuen Schuljahr soll Englisch an allen slowakischen Schulen als erste Fremdsprache unterrichtet werden. Deutsch können die Schüler dann bis zur 8. Klasse nicht mehr als Erst-, sondern nur noch als Zweitsprache und als Alternative zu anderen Fremdsprachen wie Französisch, Spanisch oder Russisch wählen. Deutsche und österreichische Investoren sind unzufrieden mit der Entscheidung des slowakischen Bildungsministeriums, Deutsch an Schulen deutlich zurückzufahren. „Mit lediglich einer Wochenstunde Deutschunterricht ist es nicht mehr möglich, im Abitur das Niveau B2 zu erreichen. Das ist aber Voraussetzung für ein Studium in Deutschland oder Österreich“, klagt der deutsche Botschafter in Bratislava Axel Hartmann. Auch in Tschechien ist eine ähnliche Entwicklung zu erwarten. Der Nationale Wirtschaftsrat (NERV), das Beratungsgremium der tschechischen Regierung empfiehlt Englisch als einzige Pflichtfremdsprache bis zur 8. Klasse. Die anderen Sprachen, darunter auch Deutsch, wären dann Wahlfächer.
Experten warnen, dass schlechtere Deutschkenntnisse zum Rückzug deutscher und österreichischer Investitionen führen könnten, vor allem bei mittelständischen Unternehmen. Rund 400 deutsche Unternehmen beschäftigen in der Slowakei etwa 90.000 Mitarbeiter. „Die Investoren schätzen die Flexibilität der slowakischen Mitarbeiter. Geht diese verloren, werden sich ausländische Unternehmen überlegen, ob sie nicht lieber in ein anderes Land investieren“, schätzt RWE-IT-Slovakia-Geschäftsführer Olaf Baumann die Situation ein. Der 44-Jährige rekurriert seine Mitarbeiter beispielsweise aus den Reihen der slowakischen Karpatendeutschen. Die Slowaken bilden sich in firmeninternen Deutschkursen weiter. Auch eine aktuelle Umfrage der Deutsch-Slowakischen Industrie- und Handelskammer (DSIHK) ergab, dass für 70 Prozent der deutschen Mitgliedsunternehmen in der Slowakei die deutsche Sprache von großer Bedeutung ist.
Der Trend zum Englischen als erster Fremdsprache begann bereits mit dem EU-Beitritt der Slowakei im Jahr 2004. Damals öffneten Großbritannien und Irland ihre Arbeitsmärkte für die neuen EU-Bürger. Tausende Slowaken verließen das Land, um in London und Dublin zu arbeiten. Aber auch für einige Investoren ist Englisch inzwischen wichtiger als Deutsch. „In unserem Konzern steht Englisch an erster Stelle, weil unsere Mitarbeiter mit den Filialen in der Slowakei, Tschechien, Ungarn, Rumänien und ganz Südosteuropa kommunizieren müssen“, erklärt Hana Cygonkova, die Pressesprecherin der ERSTE GROUP in Wien. Das Unternehmen gehört mit der slowakischen Bankgruppe Slovenska sporitelna zu den größten österreichischen Investoren im Land. „Mitarbeiter im Controlling oder im Risikomanagement unserer slowakischen Bankfilialen müssen nicht Deutsch sprechen“, erklärt die gebürtige Tschechin. Für die Investoren sei es daher weniger entscheidend, ob die Mitarbeiter Deutsch sprechen oder nicht. Allerdings könnte die Ausdünnung des Deutsch-Unterrichts negative Auswirkungen auf slowakische und tschechische Unternehmen haben, die vor allem auf den deutschen Markt exportieren. „Der größte Teil unserer Ausfuhren gehen in die deutschsprachigen Länder, deshalb ist das neue Schulgesetz langfristig kein vernünftiger Schritt“, so Cygankova.
Hana Cygankova weiß, wovon sie redet. Dank ihrer perfekten Deutschkenntnisse konnte Cygankova nach der Wende in Wien Wirtschaft studieren und machte dort als Tschechin eine vorbildliche Karriere. Die deutsche Sprache nutzt sie neben dem Englischen ständig als stellvertretende Konzernpressesprecherin der ERSTEN GROUP in Wien. Auch die jungen Ingenieure aus der RWE-IT Slovakia in Kosice wissen, dass ihre Deutschkenntnisse in der investitionsschwächeren ostslowakischen Region, in der sie arbeiten, ein klarer Wettbewerbsvorteil sind.