Polnisch noch immer exotisch
„Sind die Polen aggressiv?“ Diese Befürchtung hatten die Schüler der Gesamtschule Talsand in Schwedt an der Oder, als sie zu ihrer polnischen Partnerschule nach Gryfino fuhren. Obwohl Schwedt direkt an der deutsch-polnischen Grenze liegt, ist die nur 35 Kilometer entfernte polnische Stadt für viele deutsche Jugendliche Neuland. Auch 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrags sind die Kontakte zum Nachbarland in den Grenzregionen nicht immer selbstverständlich. Viele von den Schülern aus Schwedt waren zwar schon in Polen, aber nur zum Einkaufen, nicht um Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen.
„Woher sollen sie wissen, welche Einstellung die jungen Polen zu ihren westlichen Nachbarn haben, wenn sie noch nie mit ihnen geredet haben?“, fragt Magdalena Ziętkiewicz, die seit zwei Jahren Polnisch an der Gesamtschule Talsand unterrichtet. „Nur durch direkten Kontakt können wir das ändern. Langsam gelingt uns das auch. Am Ende unseres Aufenthalts in Polen wollten sich die Schüler gar nicht mehr voneinander trennen. Jetzt fragen sie mich ständig, wann denn die Polen zu uns zu Besuch kommen.“
Talsand ist eine der wenigen Schulen entlang der deutsch-polnischen Grenze, in der Polnisch als Fremdsprache unterrichtet wird. Und das auch nur, weil die Partnerschule in Gryfino eine Polnischlehrerin nach Schwedt gesandt hat. Magdalena Ziętkiewicz arbeitet in der deutschen Schule, allerdings für ein polnisches Gehalt. Sie wohnt auf der polnischen Seite und pendelt zwischen ihrer Heimatstadt Chojna und Schwedt.
Nach Angaben der polnischen Botschaft in Berlin nehmen etwa 3.000 Schülerinnen und Schüler in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen an über 40 Schulen am Polnischunterricht teil. Etwa zwei Drittel der Schüler besuchen den regulären Unterricht. Die Übrigen nutzen ein freiwilliges, unbenotetes Unterrichtsangebot, z.B. im Rahmen von freiwilligen AGs. Polnisch wird vor allem als zweite und meistens als dritte Fremdsprache angeboten. Unter den Schülern, die sich für die slawische Sprache interessieren, sind jedoch viele, die aus einem polnischsprachigen Elternhaus stammen.
„Polnisch ist für deutsche Jugendliche nicht attraktiv“, behauptet Magdalena Ziętkiewicz. „Es ist nicht einfach, Schüler zu motivieren, diese Sprache zu erlernen. Nur selten studieren oder arbeiten Deutsche in Polen. In meinen Klassen habe ich auch Schüler, die eigentlich Französisch lernen wollten, aber keinen Platz bekommen haben. So sind sie in der Polnischklasse gelandet.“
Ähnlich sieht es auch in Berlin aus. Joanna Danszczyk unterrichtet seit September 2010 Polnisch an drei Berliner Schulen: dem Albrecht-Dürer-Gymnasium in Neukölln, der Robert Jungk Europaschule in Wilmersdorf und dem Gabriele-von-Bülow-Gymnasium in Tegel.
In Polen wurde Joanna Danszczyks Auszug nach Berlin enthusiastisch gefeiert. Eine Zeitung titelte: „Der polnische Vorbote in Berlin!“ Auch die deutschen Schulen werben mit der polnischen Lehrerin. „Vielleicht klingt das nicht wie etwas Besonderes oder besonders Sensationelles. Ist es aber doch.“ - so wurde die neue Lehrerin auf der Internetseite des Gabrielle-von-Bülow-Gymnasiums vorgestellt. Und tatsächlich ist die 32-Jährige aus Wodzisław die erste Lehrerin in Deutschland, deren Gehalt vom polnischen Bildungsministerium finanziert wird. Von deutscher Seite erhält die Polin einen monatlichen Zuschlag zur Wohnungsmiete.
„Polnisch ist für viele noch sehr exotisch“, bestätigt auch Danszczyk. „Trotzdem finde ich, dass die deutschen Jugendlichen diese Sprache gerne lernen.“ Im Neuköllner Gymnasium besuchen derzeit elf Schüler den Kurs „Polnisch für Anfänger“. Die Jugendlichen stammen aus der Türkei, Serbien und Kroatien. Der 17-jährigen, türkischstämmigen Eybru fällt das Erlernen der polnischen Sprache leicht: „Nur die Aussprache ist schwer. Man muss sich auch ein paar neue Buchstaben einprägen, aber ansonsten macht es echt Spaß.“
Nicht überall wird der Polnischunterricht so gut angenommen wie in Berlin. In Mecklenburg-Vorpommern wurde das erfolgreiche Projekt „Polnisch in Kindergärten“ nach drei Jahren aus finanziellen Gründen eingestellt. In 13 Einrichtungen des Bundeslandes, u.a. in Ueckermünde, Eggesin, Schwerin und Pasewalk wurden 2007 polnische Muttersprachler eingestellt. Ihre Aufgabe war es, den deutschen Kindern auf spielerische Weise Polnisch beizubringen.
Der Antrag auf Finanzierung des Unterrichts ist an der Euroregion Pomerania mit Sitz in Stettin nun gescheitert. „Uns wurde zwar versprochen, dass der Antrag wieder aufgenommen wird, wenn es Geld gibt. Ich glaube aber nicht daran“, bezweifelt eine der polnischen Erzieherinnen, die anonym bleiben will, das Versprechen. Die meisten von ihnen hätten bereits einen anderen Job gefunden.