Belarus

Ausverkauf in Belarus

„Wir steuern auf den Zusammenbruch des Finanzsystems zu“, warnt der Minsker Wirtschaftswissenschaftler Leonid Zlotnikow. „Immer haben wir die Erklärungen der Nationalbank gehört: Das Volk ist Gold wert, der Kurs wird sich halten. Dann kam plötzlich die Abwertung.“ Seit dem Absturz des belarussischen Rubel stehen die Menschen vor den Wechselstuben Schlange, Hamsterkäufe fegen die Geschäfte leer.

Verhaftungen, Repressionen und nun auch noch eine handfeste Wirtschaftskrise: Das autoritär regierte Belarus steht vor dem Abgrund. Anfang vergangener Woche stürzte der belarussische Rubel erdrutschartig ab: Um mehr als die Hälfte wurde die Währung abgewertet. Kostete ein Euro am 20. Mai noch 4.516 Belarussische Rubel, so waren es vier Tage später schon 6.914. Es ist keine ausländische Währung mehr da. Nur wenn jemand US-Dollar oder Euro verkauft, ist der Tausch möglich. Gleichzeitig gehen die Behörden scharf gegen den Schwarzhandel vor: Eine für Währungsgeschäfte eingerichtete Internetseite wurde verboten. Wer auf der Straße erwischt wird, den verhaftet die Polizei.

Die Belarussen vertrauen ihrer eigenen Währung nicht mehr: Etwa 12 Mrd. US-Dollar horten die Menschen nach Schätzungen der Minsker Stadtregierung unter den Matratzen. Der Mangel an Fremdwährungen bremst das gesamte Wirtschafsleben: Viele Unternehmen können nicht produzieren, weil sie ihre Einkäufe aus dem Ausland nicht mehr bezahlen können. 600.000 Menschen sind laut offizieller Statistik durch die Finanzkrise arbeitslos geworden.

Auch vor den Geschäften stehen die Menschen Schlange. Sie decken sich mit Lebensmitteln und anderen Waren ein, weil die Preise enorm steigen. Nach einem Bericht der russischen Zeitung Moskovskie Nowosti wurden Pflanzenöl und Butter um fast 40 Prozent, Getreide um rund 50 Prozent und Kartoffeln sogar um 70 Prozent teurer. Nur Wodka wurde lediglich um 13 Prozent teurer. Auch an den Tankstellen bilden sich Schlangen, der Benzinpreis stieg um 22 Prozent.

Die Hamsterkäufer fegen die Regale leer. „Das Volk stöhnt“, berichtet Wirtschaftswissenschaftler Zlotnikow. Weil viele Lebensmittel nicht mehr erschwinglich sind, werde doppelt so viel Brot gegessen wir sonst. Salz beispielsweise sei in vielen Regionen gar nicht mehr zu haben, sagt der Minsker Professor.

Die Staatsführung redet die Krise klein. „Soll doch die Abwertung passieren“, sagte Präsident Aleksandr Lukaschenko der Nachrichtenagentur Interfax. Die offizielle Statistik verzeichnet weiter Wachstum, das Nationale Statistikkomitee verkündet ein Plus von 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die ersten vier Monate des Jahres.

Der Wirtschaftsexperte Zlotnikov traut den Zahlen nicht: „Seit 2006 hat sich offiziellen Angaben zufolge das BIP verdoppelt, die Gehälter haben sich vervierfacht. Aber der Anteil der Gehälter am BIP ist gleich geblieben. Wie soll das gehen?“, fragt er. Nach seinen Berechnungen hat Belarus gerade 14% der Wirtschaftskraft von 1989 erreicht.

In der GUS-Republik regiert 20 Jahre nach Ende des Kommunismus weitgehend die Planwirtschaft. Präsident Lukaschenko legt persönlich die Produktionsziele für die wichtigsten Staatsunternehmen fest, Reformen und Privatisierung werden mehr deklariert als realisiert. Der Anteil des Privatsektors am BIP liegt nach Angaben der Weltbank gerade bei 22%.

Die belarussische Wirtschaft konnte bislang nur überleben, weil sie ihre meist nicht konkurrenzfähigen Produkte an Russland exportierte. Von Russland, mit dem Belarus formal einen Unionsstaat bildet, bezog Minsk auch günstiges Gas und Öl. Bis 2006 erhielt Belarus jährlich etwa sechs Milliarden US-Dollar an Subventionen aus Moskau. Doch seit Moskau die Preise für Gas anhebt und für seine Finanzhilfe Zugeständnisse fordert, gerät das Lukaschenko-Regime immer stärker unter Druck.

Jetzt soll die russisch dominierte Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft mit einem Kredit über 3 Milliarden US-Dollar helfen. Russlands Finanzminister Alexej Kudrin stellt jedoch Bedingungen: Nur wenn Staatseigentum im Gesamtwert von 7,5 Milliarden US-Dollar verkauft wird, fließt das Geld. Der Gasmonopolist Gazprom wartet schon seit Jahren darauf, das Pipelinenetz von Belarus ganz zu kontrollieren – denn es transportiert das russische Gas in den Westen. Die Hälfte der Anteile von Beltransgas haben die Russen bereits übernommen, weil Minsk dringend Geld für die immer teurer werdenden Gasimporte aus Russland brauchte. Der belarussische Regierungschef Michail Mjasnikowitsch willigte laut Medienberichten bereits ein, nun auch die zweite Hälfte von Beltransgas abzutreten. Das würde 2,5 Mrd. US-Dollar in die leeren Staatskassen spülen.

Aber selbst wenn Russland Hilfen gewährt, wären sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Belarus ist mit 28,5 Milliarden US-Dollar verschuldet. Der autoritäre Führungsstil, dem Staatschef Lukaschenko seit 1994 seine Macht verdankt, erweist sich nun als Bumerang. Kompetente Wirtschaftsberater fehlen in Belarus, meint der frühere belarussische Staatschef Stanislaw Schuschkewitsch: „Lukaschenko kann keine klugen Leute in seiner Umgebung ertragen. Er regiert nach dem Motto: Ich bin der Chef und du der Trottel."


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