Mehr Nikotintote als anderswo in Europa
„Wenn Sie zwei Schachteln Zigaretten kaufen und Ihre E-Mail Adresse da lassen, bekommen Sie einen Drink gratis“, versprechen die beiden hochgewachsenen Blondinen. Tanja und Daria stehen am Eingang der „Vodka Bar“, einem beliebten Nachtclub in Kiew. Tanja trägt einen Bauchladen mit Zigaretten der Marke „Kent“ vor sich, Daria steht daneben und tippt die Daten der Kunden in einen Laptop ein. „Die Kundendaten brauchen wir, um das Marketing zu verbessern“, sagt Daria.
Nirgendwo in Europa haben es Tabakunternehmen so einfach wie in der Ukraine. Niedrige Zigarettenpreise, eine halbherzige Gesundheitspolitik und eine starke Tabak-Lobby machen die ehemalige Sowjetrepublik zu einem Paradies für Raucher. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt Alarm: Laut einer Studie über die Sterberate in 30 europäischen Ländern sterben in der Ukraine mehr Menschen an Nikotin als anderswo in Europa. Der Tabakkonsum geht in der Ukraine einher mit exzessivem Alkoholgenuss. Laut dem ukrainischem Statistikamt sind 30 Prozent der Männer zwischen 24 und 40 Jahren alkoholabhängig, fast 40.000 sterben pro Jahr an einer Alkoholvergiftung. Das Durchschnittsalter ukrainischer Männer beträgt nur 62 Jahre.
Einer, auf den sich die Tabakkonzerne verlassen können, ist Ministerpräsident Mykola Asarow. Der Multimillionär stimmt im Parlament regelmäßig gegen die Erhöhung der Tabaksteuer. Als die Abgabe zwischen 2008 und 2009 um das Vierfache angehoben wurde, kritisierte Asarow die damalige Regierung scharf. Bei einer weiteren Parlamentsabstimmung im Februar 2010 sprach er sich ebenfalls gegen die Erhöhung der Tabaksteuer aus. Diese sei eine „dumme Idee“, sagte Asarow in einem Interview mit der Zeitung „Fakty“. „Jemand, der raucht, wird auch weiterhin rauchen“, fügte er hinzu. Konstantin Krassowski, Beamter im Gesundheitsministerium, widerspricht. Nachdem die Tabaksteuer 2009 erhöht wurde, seien in der Ukraine 15 Milliarden Zigaretten weniger produziert worden als im Jahr zuvor. „Die Menschen haben weniger geraucht“, sagt Krassowski.
Nach wie vor sind Zigaretten jedoch nirgendwo in Europa so billig wie in der Ukraine. Eine Schachtel „Marlboro“ kostet umgerechnet 80 Cent, eine Packung der beliebten Marke „Parlament“ ist für knapp einen Euro zu haben. Fast überall darf gequalmt werden, nur in öffentlichen Gebäuden und auf Bahnhöfen ist Rauchen verboten. In vielen Kneipen und Restaurants stehen Zigaretten sogar auf der Speisekarte. Die Glimmstängel werden auf einem Teller „serviert“, ein Feuerzeug ist meist gratis dabei.
Zwar darf im Fernsehen, in Zeitschriften und auf der Straße nicht für Tabakprodukte geworben werden. Das Werbeverbot gilt jedoch nicht in Kneipen und Nachtclubs. Die lasche Gesundheitspolitik macht es den Zigarettenherstellern leicht, an Kinder und Teenager heranzukommen. Im März veranstaltete der Konzern Japan Tobacco International in der Messehalle von Kiew eine Partynacht für tausende Jugendliche. Wer eine Packung Camel kaufte, durfte exklusiv in die Lounge-Bar oder konnte sich mit Models fotografieren lassen. Auch Kinder können leicht an Zigaretten herankommen. In Kiew werden fast an jeder Straßenecke Zigaretten an Kiosken verkauft. Deshalb hatte der Kiewer Stadtrat ein Verkaufsverbot ab 1. April beschlossen. Doch bis jetzt wurde nicht ein einziger Straßenkiosk geschlossen.
Internationale Tabakkonzerne wie Britisch American Tobacco oder Philip Morris kontrollieren 99 Prozent der Tabakproduktion in der Ukraine. Sie gehörten im vergangenen Jahr zu den fünf größten Steuerzahlern des Landes. Ein Grund, wieso die Regierung die Unternehmen nicht verprellen will. Auch der ehemalige Präsident Wiktor Juschtschenko kümmerte sich um die Interessen der Tabakkonzerne. 2009 besuchte er das Werk von British American Tobacco in der Nähe von Tschernigow. Er gratulierte der Firma zu ihrer Investition und lobte deren „transparente Geschäftspraxis“. Kurz darauf legte er ein Veto gegen eine geplante Erhöhung der Tabaksteuer ein.