Polen

Warschaus kostbare Quellen

Der Gang zum Brunnen gehört für Tadeusz Trzcinski zur Alltagsroutine. Vier leere Plastikkanister hat er auf seinen Bollerwagen geladen. Gemählich schlurft er an den Plattenbauten seines Viertels vorbei zu einem kleinen Brunnenhäuschen. Hier macht er halt, dreht die Hähne auf und lässt klares Quellwasser in die Kanister fließen. Bequemer wäre es für Trzcinski, einfach das Leitungswasser aus dem Hahn zu nehmen. So hat er es jahrzehntelang gemacht. Doch seit 1996 der Brunnen gebaut wurde, boykottiert er die bräunliche, chlorversetze Brühe, die aus dem Hahn kommt.

Für viele Warschauer – vom Manager bis zur Hausfrau – ist der Brunnen eine Alternative zum Leitungswasser. Aus insgesamt 107 Brunnen schöpfen die Stadtbewohner täglich ihr Trinkwasser. Die unterirdischen Quellen sind ein Schatz, auf den sie und Millionen anderer Einwohner des Gebiets Masowien rund um die polnische Haupt-stadt kostenlos zugreifen. Ursprünglich waren die unterirdischen Quellen als Notre-serve gedacht, um im Fall von Naturkatastrophen oder Krieg Wasservorräte zu haben. In den 1990er Jahren begann die Stadt, Löcher zu bohren, um das Quellwasser an die Oberfläche zu befördern. Inzwischen gehört der Gang zum Brunnen für viele Bewohner zum Alltag.


In der Millionenstadt Warschau holen viele Bürger ihr Wasser vom Brunnen / Elisabeth Lehmann, n-ost

Der Rentner Trzcinski ist überzeugt von der Qualität des Wassers: „Das Tiefenwasser kommt aus 300 Metern unter der Erde.“ Dort lagert es schon rund 30 Millionen Jahre. Auch Dariusz Rudas von der staatlichen Hygienebehörde Sanepid versichert: Das lange Lagern zwischen den Gesteinsschichten hat dem Wasser gut getan. „Dadurch enthält es heute jede Menge Mineralien wie Eisen oder Mangan.“

Das sind Stoffe, die dem normalen Leitungswasser in Warschau erst noch hinzugefügt werden müssen. Weil das Quellwasser allein für die Zweimillionen-Metropole nicht reicht, bereitet das Wasserwerk im Zentrum Warschaus das Weichselwasser auf. Doch die Wege, die das Wasser bis in die heimischen Küchen und Bäder zurücklegen muss, sind oft weit. Außerdem sind die Leitungsnetze, die bereits Ende des 19. Jahr-hunderts gebaut wurden, veraltet.

So kommt das Wasser oft in schlechter Qualität in den Häusern an. „Wenn es unser Werk verlässt, entspricht es allen von der EU vorgeschriebenen Normen. Das wird regelmäßig vom Gesundheitsministerium überprüft und kann bedenkenlos getrunken werden. Aber wir können natürlich nicht für die Leitungen in den Häusern garantieren“, sagt Izabela Jezowska von den Warschauer Wasserwerken. Verdreckte Kupferrohre, verrostete Hähne.

Im Sommer mischen die Werke dem Wasser deshalb Chlor bei, erklärt Izabela Jezowska. Die Menge ist für Menschen zwar nicht gesundheitsschädigend, aber geschmacklich wahrnehmbar.

Doch zuletzt gab es auch Probleme mit dem ansonsten so klaren Brunnenwasser. Die staatliche Hygienebehörde bemängelte, dass das Quellwasser zu viel Eisen und Mangan enthalte. Die Werte seien zwar unbedenklich, versichert Sprecher Dariusz Rudas. Doch sie entsprächen nicht den Vorgaben des Ministeriums. So müssen viele der alten Brunnen nachgerüstet werden. Neue Filter sollen dem Wasser einen Teil der Mineralien entziehen. In die neuen Brunnen werden sie sofort eingebaut. Die Kosten trägt die Stadtteilverwaltung, in deren Bezirk der Brunnen steht. Die Einwohner Warschaus zahlen keinen Cent.


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