Polen

Zwist um Steinbach-Besuch in Polen

Die Einwohner von Rumia nennen das Haus bis heute „Wodociągi“, Wasserwerk. Es ist ein großes, gelbes Haus, das ein bisschen wie ein Blockbunker aussieht. Im Untergeschoss befinden sich noch heute Geräte, die Wasser pumpen. In der ersten Etage kam am 25. Juli 1943 Erika Steinbach als Tochter von Karl Wilhelm Hermann aus Hanau, einem Elektroingenieur und deutschen Soldaten, zur Welt. Nach dem Polenfeldzug im September 1939 hatten die Nazis die Stadt in der Nähe von Danzig besetzt, Rumia, damals Rahmel, gehörte seitdem zum Reichsgau Westpreußen, später Danzig-Westpreußen.

Am kommenden Sonntag kehrt Erika Steinbach erstmals wieder in ihren Geburtsort zurück, „an den ich keine Erinnerung mehr habe“, wie sie selbst sagt. Sie war knapp zwei Jahre alt, als ihre Mutter mit ihr 1945 vor der Roten Armee nach Schleswig-Holstein floh. Ihr Vater geriet in Kriegsgefangenschaft.

Die umstrittene Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen ist für viele Polen ein rotes Tuch. Ihr Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen wird dort bis heute als eine Relativierung deutscher Kriegsschuld kritisiert. Anfang der 1990er Jahre stimmte Steinbach im Bundestag zwar für den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag, aber auch gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Polnische Politiker reagierten heftig auf ihren Besuch. Die nationalkonservative Abgeordnete Dorota Arciszewska-Mielewyczyk, Senatorin von Kaczynskis Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), bezeichnete Steinbach gar als „unerwünschte Person“.

Öffentlichkeitswirksam und mit Reportern einer großen deutschen Boulevardzeitung im Gefolge will Steinbach auch die deutsche Minderheit in Danzig besuchen. Einen Kranz an der Gedenktafel für die Opfer der versenkten Passagierschiffe Wilhelm Gustloff, Steuben und Goya wird sie, anders als geplant, nicht niederlegen. Der Pfarrer der Kirche hatte sich dagegen ausgesprochen. „Die Kirche dient dem Gebet und nicht politischen Angelegenheiten“, sagte er der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“.

Auch Elżbieta Rogala-Kończak fühlt sich von Steinbach vor den Kopf gestoßen. Die Bürgermeisterin von Rumia bekam eine Anfrage vom Deutschen Generalkonsulat in Danzig, ob sie als Stadtvertreterin die CDU-Abgeordnete empfangen würde. Rogala-Kończak stimmte zu, stellte aber Bedingungen: Gemeinsam mit Steinbach wollte sie zuerst den Alten Friedhof in Rumia besuchen, wo die 1939 gefallenen polnische Soldaten beerdigt wurden. Erst danach sollte es einen Empfang im Kulturhaus geben.

Diesen Vorschlag lehnte Erika Steinbach ab. Stattdessen schlug sie der Bürgermeisterin vor, sie bei ihrem Besuch im Dorf Piasnica zu begleiten, wo die deutschen Besatzer zwischen September 1939 und April 1940 etwa 12.000-14.000 Menschen getötet hatten – vor allem Vertreter der polnischen Intelligenz. „Ich habe das abgelehnt“, sagt die Bürgermeisterin. „Wenn Frau Steinbach von uns empfangen werden möchte, sollte sie die Einladung und die Ideen des Gastgebers berücksichtigen.“ Im Programm ist nun nurmehr von einem „Rundgang durch die Stadt“ die Rede.

Nach Meinung der konservativen Senatorin Dorota Arciszewska-Mielewczyk belastet der Besuch Erika Steinbachs die deutsch-polnischen Beziehungen. „Ob wir als Polnische Treuhand auf diese Provokation reagieren werden, haben wir noch nicht entschieden. Das wäre eher Werbung für Erika Steinbach und das gerade wollen wir vermeiden. Wenn aber eine Demonstration organisiert würde, so würden wir das jedenfalls unterstützen“, sagte die Oppositionspolitikerin.

Die rund 45.000 Einwohner im beschaulichen Rumia jedenfalls scheinen an eine Demonstration nicht zu denken. Manche kennen Steinbach nicht einmal, wie eine spontane Straßenumfrage zeigt: „Erika wer? Steinbach? Irgendwo habe ich von ihr gehört, habe aber keine Ahnung, wer das ist“, sagt eine ältere Dame. „Ist das eine deutsche Schriftstellerin?“, fragt eine andere. „Ich habe weder eine positive, noch eine negative Haltung zu Erika Steinbach. Ich kenne die Frau gar nicht“, sagt Passant Bolesław Rogiński. Eine ältere Dame erklärt: „Wir sind in unser Haltung zu Erika Steinbach gespalten. Wir sind eher nicht so glücklich darüber, dass sie uns besucht.“

Gerüchten zufolge sollte Erika Steinbach sich auch mit einer Einwohnerin von Rumia treffen, die sie als Kind umarmt haben soll, als sie Rumia verließ. Sie soll später mehrere Briefe an Erika Steinbach geschrieben haben. Nach Meinung des Leiters des städtischen Kulturhauses in Rumia Ludwik Bach ist diese Geschichte stark übertrieben. „Diese Frau kann Erika Steinbach damals gar nicht in ihre Arme genommen haben, weil sie ungefähr im gleichen Alter war. Außerdem lebt sie nicht mehr“.

Ludwik Bach zeigt auf Steinbachs Geburtshaus. „Ihre Hebamme hieß Klara Lesner“, weiß der 61-jährige. Es war die gleiche Hebamme, die auch Ludwik Bach und viele andere Einwohner in Rumia während des Krieges und in der Nachkriegszeit auf die Welt geholfen hat. Das ist alles, was Bach und Steinbach heute noch verbindet. „Erika Steinbach ist zwar hier geboren, aber sie hat nichts hinterlassen. Ihre Familie hatte in Rumia nur einen Besatzerstatus“, sagt Bach. „Wir haben sie nicht herausgeschmissen, sondern haben ihr sogar geholfen, vor der Roten Armee zu flüchten.“ Das würde er ihr bei ihrem Besuch in Rumia am kommenden Montag sagen, wenn er könnte. Und sie dann zu Kaffee und kaschubischem Kuchen einladen.


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