Ungarn

Die Stadt der Rechtsextremen

Die Kneipe am Marktplatz des ostungarischen Städtchens Tiszavasvari trägt den exotischen Namen „Amazonas“. Am Tresen trinken vier Männer Kaffee und lassen Dampf ab. Sie schimpfen auf die „korrupten Politiker“ und auf die Roma, die sie „Schmarotzer“ und „Ungeziefer“ nennen. „Man sollte ein Gesetz verabschieden“, schlägt einer der Männer vor, „das erlaubt, die Zigeuner einfach abzuknallen, wenn sie irgendwo einbrechen.“

Ein paar Schritte vom „Amazonas“ entfernt liegt das Rathaus von Tiszavasvari. Der Bürgermeister Erik Fülöp, 29, groß, stämmig, millimeterkurzes Haar, steht im Vorzimmer seines Büros und erzählt seinen Sekretärinnen, wie einige „Zigeunerjungen“ bei einer älteren Frau eingebrochen seien und sie krankenhausreif geprügelt hätten. Die Frauen sind entsetzt.

Smarter Jurist mit Anti-Roma-Parolen

Fülöp ist Jurist und Mitglied der rechtsextremen Partei Jobbik, zu Deutsch: „Die Besseren“. Im Oktober letzten Jahres wurde er ins Amt gewählt. Im Gespräch sagt der smarte Jurist Sätze wie: „Es gibt die Zigeunerkriminalität. Das Zusammenleben mit der Zigeunergesellschaft ist sehr schwer. Der Staat muss die Probleme lösen, statt die Rechte der Ungarn mit Füßen zu treten.“

Tiszavasvari ist ein unspektakuläres Städtchen im Nordosten Ungarns, der ärmsten Region des Landes. 13.000 Einwohner hat der Ort und keinerlei Touristenattraktionen. Früher arbeiteten im Arzneimittelwerk 2.000 Menschen, heute sind es noch 270. Auch sonst gibt es kaum noch Arbeitsplätze.

Heute Tiszavasvari, morgen ganz Ungarn

Ein Fünftel der Einwohner von Tiszavasvari sind Roma. Sie leben, wie fast überall in der Region, in ghettoartigen Elendsvierteln am Stadtrand, fast niemand von ihnen hat Arbeit.

Bei den Kommunalwahlen im Oktober vergangenen Jahres wurde das Städtchen in Ungarn plötzlich berühmt: Als Erik Fülöp auf Anhieb 53 Prozent der Stimmen erhielt, war das selbst für den Nordosten Ungarns, wo die Rechtsextremen flächendeckend auf bis zu 30 Prozent der Stimmen kamen, Rekord. Tiszavasvari wurde zur ersten - und bislang einzigen - Stadt Ungarns, in der die Rechtsextremen regieren. Der Jobbik-Parteichef Gabor Vona rief Tiszavasvari zur „Hauptstadt der Partei“ aus. Ihr Motto: Heute Tiszavasvari, morgen ganz Ungarn.

Hass gegen Roma wurde salonfähig

Der Erfolg der Rechtsextremen in Tiszavasvari ist kein Zufall. Dahinter steckt eine Vorgeschichte, die Ungarn radikal verändert hat – die Geschichte des Lynchmordes an Lajos Szögi, eines Lehrers aus Tiszavasvari. Im Oktober 2006 wurde er in dem nahegelegenen Dorf Olaszliszka vor den Augen seiner Töchter von Roma erschlagen, weil er angeblich ein kleines Roma-Mädchen mit seinem Auto überfahren hatte. Das stellte sich jedoch später als Irrtum heraus.

Nach dem Mord kippte die Stimmung in Ungarn: Der Hass auf die 800.000 Roma im Land, von denen viele völlig verelendet leben, wurde in weiten Teilen der Gesellschaft salonfähig. Die rechtsextreme Jobbik-Partei erlebte einen spektakulären Aufstieg und gewann bei der Parlamentswahl im April letzten Jahres 17 Prozent. Nordostungarn wurde zum Aufmarschgebiet für Bürgerwehren und Neonazis, Tiszavasvari einer ihrer Wallfahrtsorte.

Stadteigene Gendarmerie patrouilliert abends und nachts

Siebeneinhalb Monate ist Erik Fülöp nun im Amt. Martialische Aufmärsche gegen Roma und für ein „Ungarn der Ungarn“ wie von seiner Partei andernorts veranstaltet, hat er nicht mehr nötig. Er ist an der Macht und krempelt seine Heimatstadt mit anderen Mitteln um. Eine stadteigene Gendarmerie, der zehn Leute angehören, patrouilliert abends und nachts durch den Ort, vor allem in den beiden Roma-Vierteln am Stadtrand. Die Schwarzuniformierten sollen keine Hassparolen schreien, sondern allein durch Präsenz abschrecken und Verdächtiges der Polizei melden.

Dass es seit Ende April ein Gesetz gegen rechtsextreme Bürgerwehren wie die Gendarmerie von Tiszavasvari gibt, kümmert Fülöp wenig. „Wir wollen nur der Polizei helfen“, sagt der Bürgermeister lächelnd.

„Kampf gegen alle abweichenden Verhaltensweisen“

Fülöp geht methodisch vor: So ließ er Material über 17 angebliche Wucherer, die Roma sein sollen, sammeln und erstattete beim Nationalen Finanz- und Zollamt Anzeige. Künftig sollen Roma ihre Sozialhilfe auch nicht mehr in bar erhalten. Außerdem sollen diese Leistungen gekürzt werden, sobald Eltern ihre Kinder nicht zur Schule schicken.

Fülöps Strategie ist es, Druck auf die Roma auszuüben und Härte zu zeigen. „Wir nehmen den Kampf gegen alle abweichenden und nicht ins Gemeinschaftsleben passenden Verhaltensweisen auf“, sagt der Bürgermeister. „Zigeuner sein heißt nicht, nur Rechte zu haben. Die Zigeuner müssen nützliche Mitglieder der ungarischen Gesellschaft werden.“

Roma völlig legal ausgrenzen

Fülöp ist ein Saubermann. Als diplomierter Jurist achtet er peinlich genau darauf, dass seine Anti-Roma-Maßnahmen kein geltendes Recht verletzen. Das ist auch erklärtes Jobbik-Ziel: In ihrer Hauptstadt Tiszavasvari will die Partei den Wählern in ganz Ungarn vorführen, wie sie Roma völlig legal ausgrenzt.

In Tiszavasvari leben die meisten der laut Fülöp „unnützen“ Roma an der Szeles-Straße, am Stadtrand. Es ist eines der beiden Roma-Viertel im Ort, eine ghettoartige Ansammlung von Häusern minderer Bauqualität und Ausstattung, errichtet unter der kommunistischen Diktatur speziell für Roma. Inzwischen sind die meisten Häuser baufällig, überall liegt Müll herum. Junge Männer und Frauen in zerschlissener Kleidung stehen in Gruppen vor den Hütten, rauchen, unterhalten sich gestikulierend.
Eine Frau schlendert auf der Schotterstraße, die durch die Siedlung führt, mit einen kleinen Bündel Reisig auf dem Rücken zu ihrem Haus.

Ausgangssperre für Roma

Der 46-jährige Mihaly Lakatos schiebt sein klappriges Fahrrad den Weg entlang, er hat kaum noch Zähne, Draht hält sein Brillengestell zusammen. Vor dem neuen Bürgermeister fürchtet er sich. Seit er im Amt sei, beschwert Lakatos sich, gebe es immer mehr Polizeischikanen. Ein anderer Mann, Attila Rostas, berichtet, die Roma hätten Ausgangssperre: „Die Jobbik-Parteileute haben gesagt, wenn sie uns nach sechs Uhr abends erwischen, verprügeln sie uns mithilfe der Polizei.“

Dass es eine solche Ausgangssperre für Roma gibt, dementierten sowohl Bürgermeister als auch Polizei. Auch die Pädagogin Erika Levai glaubt nicht an eine solche Maßnahme. Sie hält es jedoch für möglich, dass Roma von Einzelnen bedroht wurden. Die 50-Jährige muss es wissen. Sie ist Direktorin einer Grund- und Mittelschule in Tiszavasvari, auf die ausschließlich Roma-Kinder und Jugendliche gehen. Offiziell angeordnet hat diese Segregation niemand. Nur würde, sagt Erika Levai bedauernd, keine ungarische Familie aus der Stadt ihre Kinder an diese Schule schicken.

Fragen nach dem Rechtsextremismus in der Stadt, dem Bürgermeister und dem Rassismus seiner Parteimitglieder wehrt die Direktorin ab. Sie möchte ihre eigene Arbeit nicht gefährden. Nur so viel ist sie bereit zu sagen: „Seit Jahren spricht man über Zigeunerkriminalität. Genauso gut könnte man über die Kriminalität der Ungarn oder jeder anderen Nation sprechen. Ich denke, es gibt einfach Kriminalität, und die muss man immer im Einzelfall und gemäß geltender Gesetze be- und verurteilen.“


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