„MaMa“ sagt „Muttis“ den Kampf an
ostpol: Frau Chutnik, Ihr Sohn ist sieben Jahre alt. Feiern Sie Muttertag?
Chutnik: Klar. Es gibt nur zwei Momente im Jahr, den Frauentag und den Muttertag, an denen uns erlaubt wird, über die Situation der Frauen zu meckern (lacht). Aber im Ernst: Es ist ein Tag, an dem viel über Mütter geredet wird. Man sollte die Gelegenheit nutzen, um einige Themen in die Öffentlichkeit zu bringen.
Welche Themen stehen auf der Agenda ihrer Stiftung „MaMa“?
Chutnik: Bekannt sind wir mit einer Aktion „Mamma mia, ich komme nicht raus“ geworden. Wir haben gezeigt, dass Mütter mit ihren Kinder zu Hause sitzen, weil sie schlicht die vielen Barrieren mit ihren Kinderwägen nicht überwinden können: Überall Treppen, hohe Busse, enge Türen. Doch die schlimmsten Hindernisse für die polnischen Mütter sind Stereotypen: sowohl der Druck der Gesellschaft, als auch in der eigenen Familie. Wir setzen uns dafür ein, dass diese abgebaut werden. Die Jungs müssen wahrnehmen, dass sich die Wäsche nicht selbst wäscht. Und dass ein Mann zu sein auch heißt, im Haushalt zu helfen.
ostpol: Welche Stereotype meinen Sie?
Chutnik: Die Rolle der Mutter wird in Polen durch einen romantischen Mythos des 19. Jahrhunderts geprägt, die sogenannte „Mutter Polin“. Die Pflicht der Frauen in diesem Jahrhundert war es, Kinder zu gebären, um sie dann zu Patrioten aufzuziehen, die für das okkupierte Land kämpfen und sterben. Das Schicksal der Mütter hingegen war unwichtig.
ostpol: Nun sind die Kriege in Polen längst vorbei, die Frauen sind emanzipiert und Kinder werden nicht als Spielzeuge des Nationalstaates missbraucht. Im Kommunismus arbeiteten die meisten polnischen Frauen – anders als im Westen.
Chutnik: Die Rolle der „Mutter Polin“ existiert aber trotzdem noch. Leider. Die Zufriedenheit des Kindes steht an erster Stelle, deshalb wird die Mutter auch dem Kind untergeordnet. Die polnische Mutter ist zuallererst Mutter und nicht Frau. Egal, ob es um die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt, die Anmeldung im Kindergarten oder um das Ausgehen am Abend geht – stets soll die Mutter sich in ihrer Entscheidung durch das Wohl des Kindes leiten lassen. Die Mutter soll sich für das Kind opfern. Die größte Beleidung für Mütter in Polen ist, wenn ihr jemand sagt: „Du schickst dein Kind zur Krippe, weil du Karriere machen willst“.
Sylwia Chutnik kämpft gegen mütterfeindliche Barrieren - auf den Straßen und in den Köpfen / Agnieszka Hreczuk, n-ost
Aber muss eine Frau denn nicht tatsächlich zurückstecken, wenn sie ein Kind hat?
Chutnik: Doch. Aber eine Mutter hat auch ein „Ich“ – und das Kind auch einen Vater. Ich habe mal an einem Selbstverteidigungskurs für Frauen teilgenommen. Dort spricht man viel darüber, wie man nonverbal Grenzen schafft, um potenziellen Angriffen vorzubeugen. Eine Mutter muss das auch innerhalb der Familie lernen. Nur so bleibt sie glücklich und sie selbst. Gegen die „Mutter Polin“ habe ich den Kampf gewonnen.
Die Medien wiederum überschlagen sich mit Geschichten von erfolgreichen Müttern.
Chutnik: Das ist das Bild der „Superwoman“: Bildhübsch, elegant und super intelligent. Sie darf Karriere machen, muss aber auch eine gute Mutter sein. Hinzu kommt, dass sie umwerfend aussieht. Dieser Frauentypus wird als einzige Alternative zur „Mutter Polin“ aufgezeigt. Tatsächlich ist es aber eine Mischung aus Businesswoman und einer „Mutter Polin“. Ein Ideal, das unmöglich umgesetzt werden kann. Diese hohen Erwartungen belasten die Mütter in Polen sehr.
Zur Person:Sylwia Chutnik (30) ist eine der erfolgreichsten Schriftstellerin der jungen Generation in Polen. In ihren Büchern beschäftigt sie sich vor allem mit den Frauen-Themen. Sie führt durch Warschau auf die Spuren der bekannten Bewohnerinnen der Stadt. 2005 gründete sie die Stiftung MaMa, die sich mit Problemen der Mütter auseinandersetzt. Sie studierte Kulturwissenschaftlerin ist selbst Mutter eines 7-jährigen Sohnes.
Wie möchte die polnische Frau denn sein?
Chutnik: Polnische Frauen wissen oft nicht, was sie wollen. Es läuft häufig so ab, dass sich Frauen anpassen, was mehrheitsfähig ist. Die meisten Biographien sehen so aus: Schule, Studium, Heirat, Job und schließlich Kinder. Frauen fragen sich nicht, ob sie es so wollen. Sie halten es für ein natürliches Modell, besonders in den patriarchalisch geprägten Familien.
Was ist so schlimm daran?
Chutnik: Es ist wichtig, dass Frauen ihre Entscheidungen eigenständig treffen. Sie sollen bewusst entscheiden, ob sie sofort heiraten wollen und Kinder kriegen, dem traditionellen Muster folgen – oder zuerst reisen, das Leben genießen, Erfahrungen sammeln und sich dann bewusst für oder gegen ein Kind entscheiden. Die Wahl lassen sie zu selten zu.
Der Vater muss nicht um seinen Identität kämpfen?
Chutnik: Nein. Von einem Durchschnittsvater erwartet niemand, dass er sich um die Familie, ums Kind persönlich kümmert. Ihm wird gratuliert, es wird auf die Geburt getrunken, und von ihm wird erwartet, dass er finanziell fürs Kind sorgt. Das war‘s.
Hat sich Ihr Blick auf die polnische Gesellschaft mit der Geburt ihres Sohnes geändert?
Chutnik: Früher habe ich das Patriarchat als ein falsches, böses System gesehen, das überall ist, aber kein Gesicht hat. Ich habe gemerkt, es gibt hunderte von klugen Männern, die die Komplexität der chinesischen Außenpolitk begreifen oder Pläne für den Weltfrieden schmieden, doch nicht wissen, wie man eine Wohnung putzt oder Kinder erzieht. In diesem Sinne sind sie unfähig. Diese Leute unterstützen ein System, in dem eine Diskrepanz zwischen Worten und Taten herrscht. Und gerade dieses System hemmt die Mütter.
Sie haben selbst ein Kind, schreiben erfolgreich Bücher und haben eine Stiftung gegründet. Sind Sie nicht auch eine Art „Superwoman“?
Chutnik: Ich bin Sylwia Chutnik. Ich bin Mutter, Schriftstellerin, Aktivistin. Ich betrachte mich selbst als Ganzes, das aus vielen verschiedenen Teilen besteht.
Und sind Sie eine gute Mutter?
Das kann ich nicht beantworten. Da müssen Sie meinen Sohn fragen.