Pilger radeln zur Seligsprechung nach Rom
Kurz nach Sonnenaufgang geht es los. Piotr Gieburowski weckt seine Freundin Agnieszka Michalak, die noch tief schläft. Es muss schnell gehen, sie haben heute 160 Kilometer vor sich. Schwere Fahrradtaschen hängen an ihren Mountainbikes. Am 1. Mai wollen die beiden in Rom sein, wenn Johannes Paul II. auf dem Petersplatz selig gesprochen wird.
Mindestens 150 Kilometer müssen sie pro Tag schaffen, bei Wind und Wetter. In der vergangenen Woche sind sie in ihrer Heimatstadt Posen aufgebrochen, Wien haben sie gerade hinter sich gelassen. „Ich will auf diese Weise Gott für die Seligsprechung danken“, sagt Piotr. „Und mir natürlich auch Rom ansehen.“
Das junge Paar pilgert wie geschätzte 80.000 andere Polen nach Rom, um bei der Seligsprechung „ihres“ 2005 verstorbenen Papstes dabei zu sein, der als Karol Wojtyla vor 91 Jahren in Südpolen geboren wurde. Züge, Busse und Flüge in die ewige Stadt sind seit Monaten ausgebucht. Piotr und Agnieszka verbinden wie viele ihrer Landsleute Wallfahrt, Urlaub und Training: Beide sind begeisterte Radler, sie bewältigten schon den berühmten Jakobsweg in Spanien. Das Fahrradpilgern ist für sie eine Art Buße.
Piotr Gieburowski und Agnieszka Michalak pilgern per Rad zum Petersplatz / Marcin Rogozinski, n-ost
Um die 1.600 km lange Strecke zu bewältigen, sind sie acht bis zehn Stunden pro Tag unterwegs. „Sonst verpassen wir die Seligsprechung“, sagt der 27-jährige Piotr. Kraft schöpfen die beiden aus ihrem Glauben – und einer Tafel Schokolade am Tag. Vor der Reise hängte sich Agnieszka zudem ein goldenes Medaillon mit der Gottesmutter von Tschenstochau (Czestochowa) um den Hals, das sie als Kind von ihrer Taufpatin bekommen hatte.
Schätzungen zufolge befinden sich derzeit zwischen 70 und 90.000 Pilger auf dem Weg in die ewige Stadt. Die Eifrigsten bewältigen die Strecke wochenlang zu Fuß. Unterwegs tauschen sie im Internet Informationen über Wetter, Ausrüstung oder billige Unterkünfte aus. Die Mitglieder des katholischen Sportverbandes „Viktoria“ im mittelpolnischen Plock radeln schon zum dritten Mal nach Rom. „Schon am ersten Todesstag von Johannes Paul II. vor fünf Jahren haben wir uns geschworen: Wenn er selig gesprochen wird, fahren wir hin“, sagt Leszek Brzeski, „Viktoria“- Vorsitzender.
Johannes Paul II. wird am 1. Mai zwar erst seliggesprochen, im katholischen Polen hat er aber längst den Status eines Heiligen. Für die meisten Polen trug der Pontifex direkt zum Sturz des kommunistischen Regimes bei, weil er in den 80er Jahren Partei für die Gewerkschaft Solidarnosc ergriff. Seine Worte hatten moralisches Gewicht. Sein klares „Ja“ für den EU-Beitritt Polens überzeugte auch Skeptiker. „Er war ein guter Mensch, offen für alle“, sagt die Pilgerin Agnieszka „Ich persönlich bewunderte seinen Mut, wie er sich seinem eigenen Leiden entgegenstellte.“
1150 polnische Schulen und sieben Universitäten tragen inzwischen seinen Namen, rund 500 Denkmäler wurden in Polen für den Papst enthüllt. Auch sechs Jahre nach seinem Tod ist der Papst für 47 Prozent der jungen Polen immer noch die allergrößte Autorität. Selbst auf der Internetplattform Facebook hat der verstorbene Papst tausende Freunde.
Polen bereitet sich bereits seit Wochen auf die bevorstehende Seligsprechung vor: Sein Portrait lächelt aus Schaufenstern, von Kirchen und Litfasssäulen. Reisebüros werben mit seinem Konterfei für sogenannte „Pilger-Pauschalpakete“ nach Rom, Seelsorge inklusive. Je nach Standard variieren die Preise zwischen umgerechnet 200 und 400 Euro. Bei einem Durchschnittsverdienst von knapp 1.000 Euro im Monat ist das ein stolzer Preis.
Einige haben sich auch abschrecken lassen von ausgebuchten Zügen und Flügen. Von den ursprünglich erwarteten 100.000 Pilgern bleiben nun einige doch zu Hause, andere machen sich mit dem Auto auf den Weg. Auch der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski und Regierungschef Donald Tusk sind am 1. Mai auf dem Petersplatz dabei. Sie kommen allerdings auf dem bequemsten Weg – per Flugzeug.