Ärzte ohne Grenzen
Wegnahme von Arbeitsplätzen durch Osteuropäer, Preisdumping und Anstieg der Arbeitslosenzahlen: Das sind die Befürchtungen vieler deutscher Arbeitnehmer, wenn von der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit die Rede ist. Dass diese Befürchtungen aber oft unbegründet sind, zeigt die Situation der Mediziner in Deutschland. Nach wie vor suchen deutsche Krankenhäuser händeringend Ärzte: Das wird auch die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Osteuropäer nicht ändern.
„Wir bekommen schlicht und einfach kein deutsches Personal“, sagt Tilman Verbeek. Der Chefarzt am Klinikum Oberlausitzer Bergland an der deutsch-tschechischen Grenze beklagt sich über die Arbeitskräftesituation seines Krankenhauses. Rund 22.000 Patienten muss das Personal seines Klinikums jährlich versorgen, ohne Unterstützung aus dem Nachbarland Tschechien ist das nicht möglich: „Die Kollegen aus Tschechien sind nicht mehr wegzudenken. Ohne sie kann die Versorgung nicht aufrechterhalten werden“, so Verbeek.
Weniger Bürokratie soll mehr Osteuropäer anlocken
Ab Mai wird sich der Weg der tschechischen Ärzte in das deutsche Gesundheitswesen ändern, wenn auch nur geringfügig. Die deutschen Arbeitsämter werden dann nicht mehr einbezogen. Das erleichtert die Aufnahme der tschechischen Ärzte in Deutschland. Chefarzt Verbeek sieht darin aber keinen großen Gewinn: „Es geht um ein Anmeldeformular weniger“, sagt der Mediziner.
Der teilweise Wegfall der Bürokratie soll immer mehr Osteuropäer anlocken. So wie den Psychiater Martin Zalsky. Er arbeitet seit zwei Jahren im sächsischen Krankenhaus Großschweidnitz, das 20 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt ist. In der Psychiatrie arbeiten drei tschechische Kollegen. Mit rund 3.700 Euro Brutto Anfangsgehalt verdienen sie in Deutschland wesentlich besser als in den Einrichtungen ihrer Heimat.
Für viele Ärzte sind die im Vergleich zu Tschechien hohen Gehälter Grund genug, nach Deutschland auszuwandern. So war es auch bei Zalsky. Zusammen mit Frau und Kind ist er von Prag in die Grenzregion gezogen. Die sächsische Region ist wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der mangelnden Perspektiven ein sozialer Brennpunkt. „Kein deutscher Psychiater wollte hierher, da wegen der Unterversorgung in diesem Bereich die Arbeitsbelastung bekanntermaßen sehr hoch ist“, sagt Zalsky.
Tschechien befürchtet Ärztemangel
Dass sich immer mehr tschechische Ärzte in Deutschland niederlassen, macht der tschechischen Regierung Sorgen. Sie befürchtet einen Ärztemangel in Tschechien. Deshalb wurden in den vergangenen Monaten keine Konformitätsbescheinigungen für tschechische Ärzte, die in Deutschland arbeiten wollen, ausgestellt. Diese sind aber notwendig, um in Deutschland praktizieren zu können. Die Umzüge der Tschechen hätten aber auch ein Umdenken bewirkt. Verbeek berichtet, dass die Regierung angestoßen habe, Ärzte im tschechischen Gesundheitswesen besser zu bezahlen.
Mit einer Flut an Medizinern aus Osteuropa ist ab Mai nicht zu rechnen. Ein Großteil der tschechischen Ärzte sind Pendler, die täglich nach Deutschland kommen, um zu praktizieren. Das wird auch so bleiben, vermutet Verbeek. Viele der tschechischen Ärzte leben in grenznahen Orten zwischen Hradek, Jablonec oder kommen aus der Gegend um Liberec, etwa eine halbe Autostunde von der deutschen Grenze entfernt. Einer von ihnen ist Jan Sobota. Er ist Orthopäde und hat seine tschechische Heimat nicht aufgeben wollen. Er wohnt mit seiner Familie in Jablonec und arbeitet im 90 Kilometer entfernten Ebersbach. Für ihn bedeutet die Tätigkeit in Deutschland vor allem ein Karrieresprungbrett. Seine Laufbahn begann Sobota im Prager Zentralkrankenhaus und hat sich mittlerweile hochgearbeitet. In Ebersbach ist er nun erfahrener Unfallchirurg.
Weil die Facharztausbildung in Deutschland unter den tschechischen Ärzten als eine der besten Europas gilt, schrecken sie nicht vor täglichen, oft stundenlangen Fahrten zurück. Manche haben sich im Klinikum Oberlausitzer Bergland zum Oberarzt etwa in der Anästhesiologie und in der Gynäkologie entwickeln können oder bewerben sich deutschlandweit von hier aus auf Oberarzt- und Chefarztstellen.