Gemeinsam gegen Gewalt im Fußball
Von ihrer Heimatstadt Breslau (Wrocław) aus ist es nicht weit nach Dresden. Joanna Łaska war schon öfter hier, heute aber sieht die Sozialarbeiterin die Stadt nur mit den Augen eines Fußballfans. Vor dem Derby der Drittligisten Dynamo Dresden gegen den FC Rot-Weiß Erfurt filmt sie mit ihrer Videokamera den Marsch der Fußball-Ultras zum Rudolf-Harbig-Stadion: „Dynamo, Dynamooo, Dynamo – wir kämpfen für dich bis zum Tod!“, schreit der Capo, der Anführer der radikalen Dresdener Fans, in sein Megaphon. Ein Chor aus hunderten Kehlen junger Männer wiederholt den Schlachtruf.
Łaska kennt solche Szenen aus ihrem Club „Śląsk Wrocław“, der in der berüchtigten Ekstraklasa, der ersten polnischen Liga, spielt. In Dresden will die Breslauerin lernen, wie der deutsche Fußballverein Gewalt verhindert, bevor sie ausbricht. Denn in Polen kommt es oft zu Ausschreitungen. Im Januar wurde in Krakau ein Fan erstochen. Und vor einigen Wochen randalierten 200 polnische Anhänger bei einem Freundschaftsspiel ihrer Nationalmannschaft im litauischen Kaunas.
Inzwischen machen die Hooligans auch dem europäischen Fußballverband UEFA Sorgen. Denn Polen trägt im nächsten Jahr gemeinsam mit der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft aus. Bislang hat das Land die Gewalt trotz hoher Polizeipräsenz nicht in den Griff bekommen.
In Deutschland haben die Vereine die Hooligans dagegen weitestgehend unter Kontrolle, weil sie statt auf Konfrontation auf Kooperation setzen. Sozialarbeiter sprechen mit „Problemfans“, organisieren Ferienprogramme und Kickerturniere. Der Dresdener Verein betreibt beispielsweise ein Fanhaus, in dem Sozialarbeiter für die Fans Grillabende und Jugenddiskos veranstalten. Spannungen werden so abgebaut, bevor Gewalt entsteht. Zwar hat Dresden immer noch viele gewaltbereite Anhänger, im Stadion steigt bei den Spielen regelmäßig pinkfarbener Rauch aus dem Pulk der Ultras auf. Vor dem Stadion stehen Polizeiwagen, Bereitschaftspolizisten in schwerer Montur sichern das Gelände. Doch auch wenn viele Fans aggressiv sind, bleibt es insgesamt ziemlich ruhig.
In Polen gehört Gewalt im Fußball zum Alltag. Foto: Jan Zappner, n-ost
Die polnische Sozialarbeiterin Joanna Laska steht neben dem deutschen Hooligan Stefan Lehmann. „Lemmi“ gehört seit Jahren zur berüchtigten Dresdner Ultraszene. Gewalt gegen Polizei, Randale, Stadionverbot: Auf ihn traf das alles zu, doch das ist vorbei. Inzwischen macht er Sozialstunden für das Fanprojekt, organisiert Jugendfußballturniere und hilft beim Ferienprogramm. „Seit es das Fanprojekt gibt, hat sich die Lage entspannt“, sagt er und berichtet, wie ihm das Projekt geholfen hat, sogar sein Stadionverbot zu überwinden.
Für Joanna Łaska ist auch der Austausch zwischen den Akteuren bei einem Fußballspiel eine neue Erfahrung. Sie beobachtet, wie Marek Lange vom Dresdner Fanprojekt vor dem Spiel mit allen beteiligten Gruppen, der Polizei und mit den Stadionordnern redet. „Wir haben bislang noch nicht mal einen Plan, was die Fans mit ins Stadion nehmen dürfen. Bei uns in Polen gibt es keine strikten Vorgaben“, sagt die Sozialarbeiterin. Tatsächlich sorgt die Willkür von Polizei und Ordnern bei den Spielen in Polen häufig für vermeidbaren Ärger. Hier in Dresden hat Joanna vor allem gelernt, wie die Kommunikation ihrer deutschen Kollegen wirkt: „Als sie einen verletzten Fan gesehen haben, sind sie gleich hin. Um zu wissen, was da los war. Egal, ob es ein Unfall war - oder eine Schlägerei.“
Krakauer Bürger stellten im Januar Kerzen für einen ermordeten Fan auf. Foto: Jan Zappner, n-ost
Und dann trifft Łaska noch auf Gerald von Gorrissen, den Fanbeauftragten der deutschen Nationalmannschaft, der heute zufällig im Stadion ist. Gorrissen ist froh, dass man sich in Polen ein Beispiel an der hiesigen Fanarbeit nimmt. Er wird deutsche Fans bei der EM 2012 betreuen, vielleicht sieht er Łaska bei dieser Gelegenheit wieder: „Für den Fall, dass wir in Breslau ein Spiel bestreiten, werden wir natürlich Kontakt zu den Kollegen suchen, die in Breslau Fanarbeit betreiben.“ Drei weitere polnische Clubs haben sich schon „Śląsk Wrocław“ über Partnerschaften in Berlin, Jena und Bielefeld angeschlossen.
Olaf Sundermeyer