„Lukaschenko hat sich selbst ins Abseits gestellt"/ Interview mit Alexej Michalewitsch
ostpol: Herr Michalewitsch, Sie waren als Präsidentschaftskandidat der Oppositionspartei BPF nach den Wahlen am 19. Dezember 2010 zwei Monate lang in KGB-Haft. Nach Ihrer Entlassung sprachen Sie öffentlich von systematischer Folter.
Michalewitsch: Wir mussten mehrmals am Tag nackt in einem kalten Raum fast im Spagat stehen, danach konnte man kaum noch laufen. Nachts mussten wir mit dem Gesicht unter brennenden Lampen schlafen – das war de facto Folter durch Schlafentzug. Ich durfte keinen Anwalt sehen. Als man mir mehrmals fast die Arme gebrochen hätte, unterschrieb ich ein Papier, auf dem ich mich zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst KGB verpflichtete - es war die einzige Möglichkeit, um aus der Haft entlassen zu werden. Sofort nach meiner Freilassung habe ich dann auf einer Pressekonferenz von der Folter in der Haft berichtet und erklärt, dass ich niemals mit dem KGB zusammenarbeiten werde.
Hatten Sie keine Angst, sich öffentlich gegen das Regime zu stellen?
Michalewitsch: Doch. Aber es war meine moralische Pflicht. Ich hätte meinen Freunden nicht mehr in die Augen sehen können, wenn ich es nicht getan hätte.
Zwei Wochen später haben Sie Belarus verlassen und sind über Russland und die Ukraine nach Tschechien geflohen, wo Ihnen politisches Asyl erteilt wurde. Warum Tschechien?
Michalewitsch: Ich hatte hier schon viele Kontakte, und Tschechien ist ein kleines Land mit ziemlich wenig Bürokratie. Über meinen Antrag auf politisches Asyl wurde relativ schnell entschieden. Außerdem hatten sich der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg und Ex-Präsident Vaclav Havel schon vorher mit der belarussischen Opposition solidarisiert, und Schwarzenberg hat sich dann auch persönlich für meine Aufnahme stark gemacht.
Haben Sie Kontakt zur Opposition in Belarus?
Michalewitsch: Ja, ich stehe in ständigem Kontakt, dank Skype und anderer Kommunikationswege. Ich schreibe für belarussische Internetportale und bin ständig auf dem Laufenden, was im Land vor sich geht. Ich hoffe sehr, möglichst bald zurückkehren zu können.
Wie hat sich die Situation nach dem Anschlag in der Minsker Metro am 11. April geändert? Für den Terrorakt, bei dem 13 Menschen starben, hat Lukaschenko die Opposition verantwortlich gemacht.
Michalewitsch: Die Gesellschaft ist noch stärker polarisiert. Diejenigen, die auf der Seite Lukaschenkos standen, sind noch stärker auf seiner Seite; seine Gegner sind noch radikaler gegen ihn. Und die Regierung nutzt diese Spaltung, um mit noch repressiveren Mitteln gegen die Opposition vorzugehen.
Alexej Michalewitsch, geboren 1975 in Minsk; Studium der Politikwissenschaften und Jura an den Universitäten Minsk, Warschau und Oxford; während des Studiums setzte er sich als Leiter einer NGO für die Rechte der Studenten ein. Nach dem Studium u.a. Rechtsberater für Afghanistan-Veteranen und für eine unabhängige Gewerkschaft. 2004-2008: Kandidat der oppositionellen Partei BPF (Belarussian Popular Front), die sich für Demokratie einsetzt. Unabhängiger Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2010 in Belarus. Verheiratet, zwei Töchter; Familie ist nach wie vor in Minsk und wird vom KGB beschattet; seine Frau engagiert sich für politische Gefangene.
Präsident Lukaschenko hat nach dem Anschlag gesagt, dass ihm die Reaktion westlicher Organisationen und Medien völlig gleichgültig ist. Können westliche Organisationen überhaupt irgendetwas ausrichten?
Michalewitsch: Wenn es Lukaschenko tatsächlich gleichgültig wäre, hätte er nicht darüber gesprochen. Dass er darüber spricht, heißt, dass es ihn beschäftigt. Deshalb ist es sehr wichtig, die Zivilgesellschaft in Belarus weiterhin zu unterstützen. Wenn sie stark ist, wird sie immer Mechanismen finden, auf die Regierung einzuwirken oder die Regierung zu stürzen.
Wie kann die Europäische Union Druck auf Lukaschenko ausüben?
Michalewitsch: Am besten wäre ein Importstopp für belarussische Ölprodukte. Doch Wirtschaftssanktionen von diesem Ausmaß sind natürlich unrealistisch für die EU.
Aber eine Sache, die Lukaschenko persönlich sehr treffen würde, wäre die Infragestellung der Eishockey-WM 2014 in Minsk.
Und wie könnte sie die Opposition stärken?
Michalewitsch: Vor allem ist es wichtig, die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Mein Anwalt zum Beispiel hat seine Arbeit verloren, weil er sich für mich eingesetzt hat. Solche Leute brauchen internationale Solidarität. Oder die inhaftierten Journalisten. Unterstützung der Zivilgesellschaft – das bedeutet auch, Belarussen den Zugang zu europäischen Bildungsprogrammen und Stipendien zu ermöglichen.
Was glauben Sie, wie geht es weiter in Belarus?
Michalewitsch: Ich bin überzeugt, dass sich die Situation bald ändert. Lukaschenko hat sich durch seine völlig unangemessenen Repressionen selbst in die Ecke gedrängt. Die Regierung hatte zuvor enorme Mittel investiert für den Dialog mit dem Westen. Und das hat sie nach den Wahlen alles wieder zerstört. Wie bei jeder Diktatur ist es schwer vorherzusagen, wann es zum Umbruch kommt. Aber ich glaube, es wird ziemlich schnell passieren.