Bosnien-Herzegowina

Al Jazeera-News für den Balkan

Aus seinem Büro im achten Stock des neuen „BBI Centers“ blickt Tarik Djodjic über die verwinkelten Dächer von Bosniens Hauptstadt Sarajevo. „Medien und Journalisten haben auf dem Balkan traditionell ein sehr schlechtes Image“, sagt er. „Das liegt auch daran, dass der Markt so zersplittert ist.“ Bislang jedenfalls. Seine gerade frisch fertig gestellten hochmodernen Technikräume und Büros stehen in auffälligem Kontrast zu der meist nur notdürftig sanierten Bausubstanz der Stadt.

Der bosnische Manager ist Geschäftsführer des ersten reinen Nachrichtensenders für Südosteuropa – Al Jazeera Balkans. Seit dem 11. November 2011 sendet er über Kabel und Satellit in Südosteuropa, von Slowenien bis Mazedonien. Der Sender mit Hauptsitz im Scheichtum Katar expandiert nach Europa, in einer Zeit, in der europäische Konkurrenten wie BBC und Deutsche Welle sich aus der Region zurückziehen. „Südosteuropa ist einerseits eine Nische, aber zugleich ein großer Markt“, sagt Djodjic. „25 Millionen Menschen sprechen hier die gleiche Sprache.“ In einem halben Dutzend Ländern wird sie gesprochen oder zumindest gut verstanden: Ob es nun Bosnisch, Serbisch, Kroatisch oder Slowenisch sei, „es ist im Grunde eine Sprache, sie hat nur verschiedene Namen“, meint Djodjic.

Lokalen Medien, so Djodjic, mangele es in der Region meist nicht nur an Professionalität, sondern auch an Unabhängigkeit. Journalisten ließen sich von Politikern für ihre nationalistische Propaganda einspannen oder machten Hofberichterstattung für dubiose Lokalgrößen. Nachdem Jugoslawien in den 90er Jahren in Kriegen auseinander gebrochen war, entstanden in den Nachfolgestaaten öffentliche Sender, die meist wenig Gutes über die anderen berichteten. So trugen sie dazu bei, dass sich in jedem der Länder eine jeweils eigene Version der Geschichte verbreitet hat.

„Wir wollen es anders machen“, sagt Djodjic. Al Jazeera Balkans bringt dafür arabisches Kapital und die besten Journalisten Südosteuropas zusammen. „Wir haben Leute aus allen Ländern der Region angeheuert, aus Zagreb, aus Belgrad, aus Skopje, Ljubljana und Pristina. Eine Kollegin hat vorher 20 Jahre in London gearbeitet.“ Das aus vielen Ländern zusammen gewürfelte Team ist nicht nur für ein Medienunternehmen auf dem Balkan einzigartig. „Für uns ist die Vielfalt unser Kapital, sie zeichnet uns gegenüber den anderen Sendern aus“, so Djodjic.

Keine verrauchten Flure mit durchgescheuerten Teppichböden – hier ist alles vom Feinsten und geraucht wird draußen auf der Terrasse mit dem Blick über die Stadt. Im Newsroom mit rund 50 Arbeitsplätzen sind rund ein Drittel besetzt – Schichtsystem. Es wird telefoniert, recherchiert. Man produziert Nachrichten aus aller Welt und der Region, zum Teil mit Hilfe von Material des Muttersenders. Die Büros, Technikräume und Studio erstrecken sich über drei Stockwerke des neuen Büro- und Shoppingcenters. Finanziert wurde der „BBI Center“ von islamischen Banken aus der Golfregion. Insgesamt 15 Millionen Euro hat Al Jazeera erst einmal investiert und das Studio in gut einem Jahr Bauzeit errichtet.

Der Abschied von der Kleinstaaterei ist für den Sender auch wirtschaftlich sinnvoll: „Wir haben erste Signale von großen Firmen, die ihre Marketingkampagnen für die ganze Region planen. Die wollen nicht mit einem Dutzend Sendern über Spots reden“, so Djodjic. Noch ist es nicht wo weit, aber was ihn ruhig schlafen lässt: Der Emir von Katar, der Eigentümer des Senders mit einem Jahresbudget von geschätzten 800 bis 900 Millionen Dollar, hat einen langen Atem.

Rund 150 Mitarbeiter hat Djodjic inzwischen eingestellt, im Hauptquartier Sarajevo und den Außenstudios in Zagreb, Belgrad und Skopje. Geholfen haben dabei die Kontakte bosnischer Geschäftsleute nach Malaysia und Arabien. Diese stießen vor zwei Jahren auf das Interesse von den Managern von Al Jazeera in Katar in ihrem Ziel der weltweiten Expansion.

Der Sender macht vieles anders als Staatsfernsehen einerseits und privates Boulevard-TV andererseits. Die Beiträge sind kürzer, abwechslungsreicher und konfrontativer. Der Expräsident von Montenegro etwa, ein Mann der nur noch selten mit den Medien spricht, bekam den Satz zu hören: „Ihnen werden Verbindungen zur Mafia nachgesagt.“ Kein staatlicher Sender würde sich das trauen, aber bei Al Jazeera übliche Provokation. „Wir haben die neuen Kollegen hart geschult. Viele glaubten, sie seien Profis, aber nach unseren Maßstäben waren sie es nicht. Die Unterscheidung von Nachricht und Bewertung war vielen Journalisten vorher nicht so bewusst“, bemerkt Djodjic.

Der Sender legt hohen Wert auf reine Nachrichten – zu groß wäre die Gefahr des Propagandaverdachts. „Erst einmal sollen wir ein gutes Programm machen und Vertrauen schaffen.“ Das sei nicht immer leicht, etwa im serbischen Landesteil von Bosnien, wo das Misstrauen gegen arabische und muslimische Symbole besonders hoch ist. „Unser Ziel ist absolute Neutralität. Und das merken die Zuschauer schnell“, so Djodjic.


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