Streit um „deutsche Option“ in Schlesien
Der polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski spielt - mit Blick auf die Parlamentswahlen im Herbst – wieder auf der nationalen und minderheitsfeindlichen Klaviatur. Im Zusammenhang mit der beginnenden Volkszählung in Polen, bei der etliche Polen bei der Frage nach der Nationalität „Slazak“ (Schlesier) schreiben dürften, übt er scharfe Kritik. Die schlesische Nationalität sei eine „getarnte deutsche Option“ und „eine Art, sich vom Polentum zu distanzieren“. In dem „Rapport über den Zustand des Staates“ wirft seine Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) der konservativ-liberalen Regierung in Warschau zudem vor, in Schlesien mit Separatisten zu paktieren.
Tatsächlich regiert in der südpolnischen Wojewodschaft Slaskie, die große Teile des Industriegebietes Oberschlesien umfasst, seit 2010 eine Koalition aus Bürgerplattform (PO) und der Bewegung für die Autonomie Schlesiens (RAS). Wobei vom „Regieren“ nur bedingt die Rede sein kann – die polnischen Wojewodschaften sind lediglich Verwaltungsbezirke, haben keine Gesetzgebungskompetenz und werden von einem Warschau-Entsandten kontrolliert. Dagegen geht die RAS vor, sie will größere Selbständigkeit. Allerdings fordert sie dies für alle polnischen Wojewodschaften – wissend, dass solche Pläne ausschließlich auf Schlesien bezogen zum Scheitern verurteilt sind. Denn Polen ist laut Verfassung ein Einheitsstaat, es gibt keinen Föderalismus wie in der Bundesrepublik.
In ganz Polen herrscht unterdessen Empörung über die Positionen Kaczynskis. Die Bürgerplattform hat sogar Klage gegen ihn eingereicht – wegen „Beleidigung einer Volksgruppe“. Die Kommentare schwanken zwischen Kritik, Häme und dem Versuch differenzierter Abwägung. „Es gibt Schlesier, man darf sie nicht an den Rand drängen“, sagt die 61-jährige Maria Barcik, die selbst in den 1970ern in das Industrierevier zog. „Die Schlesier haben ihre Kultur, ihre eigene Sprache. Aber es fällt mir schwer zu sagen, ob es eine Nationalität ist, es ist eher eine ethnische Gruppe“, sagt die Polin. Das Oberste Gericht in Polen hat den Schlesiern den Status einer Nationalität nicht zuerkannt.
Die Region Schlesien, vor allem Oberschlesien, ist seit Jahrhunderten von deutschen, polnischen und tschechischen Einflüssen geprägt. Der polnische Teil Schlesiens war bis 1939 autonom. Die vielfältigen Einflüsse in der Region, nicht zuletzt eine Marginalisierung des Schlesischen sowohl durch das Deutsche Reich als auch durch Polen, führten dazu, dass sich viele Einwohner der Region stärker als Schlesier denn als Polen oder Deutsche definierten.
Die Autonomiebewegung RAS etabliert sich als Sprachrohr der Schlesier. Sie wirbt dafür, sich in der Volkszählung als Schlesier zu bekennen und nennt Kaczynski Äußerungen skandalös. „Seine Worte stellen die Schlesier als hinterlistige Feiglinge dar“, so RAS-Vorsitzender Jerzy Gorzelik. Auch wenn Kaczynski versichere, nichts gegen eine nicht-national definierte schlesische Identität zu haben – die These, dass alle sich als Schlesier bezeichnenden Personen eigentlich deutsch seien, sei absurd. Ergebnisse der letzten Volkszählung von 2002 belegen das: 173.000 gaben als Nationalität „Schlesier“ an, aber weitere 153.000 bezeichneten sich als Deutsche. Das Gros der deutschen Minderheit lebt heute im Nachbarbezirk Opolskie. Die Deutschen genießen in Polen den Status einer nationalen Minderheit mit entsprechenden Rechten. Die Organisationen der Minderheit protestieren scharf gegen Kaczynski Polemik. „Diese Formulierung suggeriert, dass Deutsche die schlechteren Bürger der Republik Polen seien“, sagte Bernard Gaida vom Verband deutscher Gesellschaften in Polen. Eine größere Selbstständigkeit der Region befürworten auch sie, ebenso wie die RAS.
Viele überzeugte Schlesier, wie der bekannte Regisseur Kazimierz Kutz, sind zwar verärgert über Kaczynski Aussagen, freuen sich aber auch. „Kaczynski hat eine gesellschaftliche Bewegung losgetreten, die der Entwicklung der schlesischen Identität dienlich sein wird“, so Kutz. Und witzelt: „Vielleicht bauen wir ihm mal ein Denkmal?“ Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Personen, die sich in der Volkszählung als Schlesiern bezeichnen, steigen wird – aus Protest gegen Kaczynski. Der 69-jährige Alojzy Lysko macht diesen Mechanismus der Identitätsbildung im Gespräch mit einer Zeitung deutlich. „Zwei Mal kriegst Du was aufs Maul: von den Polen und von den Deutschen. Aber dann wirst du wissen, wer du bist.“ Lysko ist bekennender Schlesier.