Gelenkte Unabhängigkeit / zum 9. April
Lasha Bakradze ist nicht nach diplomatischer Korrektheit zumute, Feiertag hin oder her. „Wir befinden uns seit 20 Jahren im permanenten Krieg mit Russland“, sagt der Professor für Sowjetforschung in Tiflis. Am 9. April 1991 erklärte Georgien seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Doch wirklich unabhängig ist die kleine Republik im Südkaukasus seither nicht geworden – weder von russischer Einmischung noch von der Unterstützung des Westens.
Dass der 9. April in Georgien eher ein Trauer- als ein Feiertag ist, hat allerdings einen anderen Grund: Als 1989 tausende Georgier gegen den Verbleib ihres Landes in der Sowjetunion protestierten, schickte Moskau am 9. April Panzer nach Tiflis. Soldaten schlugen mit Feldspaten auf die Demonstranten ein und trieben sie mit Giftgas auseinander. 19 Georgier kamen dabei ums Leben.
„Russland hat sein imperiales Verhalten nie aufgegeben“, sagt Professor Bakradze und schimpft über die ständige Einmischung aus Moskau. Schon 1992 hatte Russland im Krieg zwischen Georgiern und den abtrünnigen Abchasen die Separatisten unterstützt und ihnen zum Sieg verholfen. 1993 nutzte Moskau die Schwäche der georgischen Regierung im Bürgerkrieg und zwang das Land zum Eintritt in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), gegen den es sich lange gesträubt hatte. Russische Soldaten bezogen erneut die alten sowjetischen Militärbasen und sicherten als „Friedenstruppen“ die Grenzen zu den abtrünnigen Gebieten. Im August 2008 griffen sie in die Gefechte um Südossetien ein und drangen mit Panzern und Kampfflugzeugen weit ins georgische Kernland vor. Mehr als 800 Menschen starben, Tausende wurden verwundet.
War das Verhältnis zwischen Georgien und dem übermächtigen Nachbarn im Norden schon vorher zerrüttet, kann man von Beziehungen seither kaum mehr sprechen. Die Verkehrsverbindungen zwischen beiden Ländern sind gekappt, die Botschaften geschlossen. Ein Visum erhalten Georgier nur noch, wenn sie engste Verwandte in Russland besuchen wollen. Die Diplomaten beider Länder treffen sich allenfalls gelegentlich in Genf, wo die internationale Gemeinschaft erfolglos versucht zu vermitteln. Vor wenigen Tagen erst lehnte der Internationale Gerichtshof in Den Haag eine Klage Georgiens ab, das Russland ethnische Säuberungen im Krieg von 2008 vorwarf. Die Parteien hätten versuchen müssen, zuerst miteinander zu verhandeln, so die Begründung der Richter.
David Khantadze zuckt angesichts dieser diplomatischen Eiszeit nur mit den Schultern. „Das hat auch eine positive Seite“, findet der 30-Jährige, der als Dozent für Wirtschaft an der Ilia-Universität in Tiflis arbeitet. „So ist unsere Regierung gezwungen, mit der EU und den USA zu kooperieren.“ Von Russland könne Georgien wenig lernen: „Das System dort ist korrupt, die Verwaltung funktioniert schlecht.“ Khantadze begrüßt die umfangreichen Hilfsprogramme, mit denen sich westliche Staaten seit dem Zerfall der Sowjetunion in Georgien engagieren. Außerdem, erklärt er, gäbe es einen Unterschied zwischen der Eiszeit auf diplomatischer Ebene und den Beziehungen der Menschen untereinander.
Dass die gar nicht so schlecht sind, bestätigt die 25-jährige Journalistin Tamar Iluridze. Nur wenige Wochen nach dem russisch-georgischen Krieg um Südossetien nahm sie im September 2008 an einem Seminar in Leipzig teil. „Ich habe zusammen mit einer russischen Kollegin an einem Beitrag über den Krieg gearbeitet“, erzählt sie, „wir hatten keine Probleme miteinander.“ Iluridze erinnert an die vielen tausend Georgier, die nach wie vor in Russland arbeiten, und an die russische Minderheit, die bis heute im Südkaukasus lebt.
Seine Unabhängigkeit feiert Georgien seit Anfang der 90er Jahre am 26. Mai – dem Tag, an dem 1918 die erste Georgische Republik gegründet wurde, nachdem ein Staatenbund mit Armenien und Aserbaidschan zerbrach. Mit Russland hat der Feiertag also auf den ersten Blick nicht viel zu tun. Im vergangenen Jahr allerdings weihte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili am 26. Mai ein pompöses Denkmal ein. Es erinnert an die Georgier, die in den Kämpfen gegen Russland und die abtrünnigen Gebiete starben – und neben den rund 4.000 in Goldschrift verewigten Namen ist noch viel Platz frei. Er wünsche sich, sagte Saakaschwili der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge, dass dieser Platz leer bliebe. Doch zugleich müssten die Georgier immer bereit sein, im entscheidenden Moment zu den Waffen zu greifen.