Bildung statt Billiglohn
Mit sogenannten Sonderwirtschaftszonen lockt Polen ausländische Unternehmen ins Land. In diesen Zonen zahlen die Firmen so gut wie keine Steuern, wie beispielsweise der Autobauer Opel, der bei Gleiwitz das neue Astra-Modell fertigen lässt. Doch einige ausländische Investoren erwägen wegen der steigenden Lohnkosten ihren Abzug. Denn der Durchschnittsverdienst in Polen nähert sich der 1.000-Euro-Marke.
Bei Opel in Gleiwitz rollen täglich rund 500 Autos vom Band – Tendenz steigend. Das GM-Tochterunternehmen schätzt seit Jahren den Standort in Südpolen. Es lässt dort den neuen Astra fertigen, und auch beim geplanten Cabrio-Modell bekommt das polnische Werk mit seinen gut 3.000 Mitarbeitern den Vorzug vor Bochum. „Ein Arbeiter bei uns verdient im Schnitt 4.100 Złoty monatlich“, sagt ein Vertreter der Solidarność-Gewerkschaft. Das sind umgerechnet gut 1.000 Euro.
Opel profitiert aber nicht nur von den relativ niedrigen Einkommen in Polen, sondern auch von den Steuervorteilen. Der Autobauer ist mit seiner Fabrik seit 1999 in der größten der 14 polnischen Sonderwirtschaftszonen ansässig – in Kattowitz. Zu dieser Zone gehört das Werk in Gleiwitz. „Ganz Polen wird eine Sonderwirtschaftszone“ – titelte einst eine polnische Tageszeitung. Die in den 1990er gegründeten Gebiete, die nach außen mit Schranken und Zäunen gekennzeichnet sind, breiten sich wie ein Flickenteppich übers Land aus. „Es kommt vor, dass ein Unternehmen sich ein Gebiet aussucht, und dieses wird dann in eine Sonderwirtschaftszone eingegliedert“, sagt Wirtschaftsgeograf Maciej Smętkowski vom Zentrum europäischer Regional- und Lokalstudien (EUROREG).
Die wirtschaftliche Bedeutung der Zonen ist besonders für einzelne Regionen beträchtlich: Bis Ende 2010 sind umgerechnet etwa 17 Mrd. Euro in die Zonen investiert worden, mehr als 160.000 Menschen arbeiten in den Gebieten. Noch bis Ende 2020 wird die Aussicht locken, über Jahre hinweg keine Körperschafts- oder Einkommenssteuern zahlen zu müssen – günstige Bedingungen, die vor allem ausländische Investoren nutzen. Und weil die Einkommen im Nachbarland wegen der guten Wirtschaftslage immer weiter steigen, sind die niedrigen Steuern für viele Firmen der Hauptgrund, überhaupt noch in Polen zu fertigen. Im Februar 2011 betrug das landesweite Durchschnittsbruttoeinkommen 3.420 polnische Zloty – also umgerechnet 850 Euro. Dies ist zwar nur etwa ein Drittel dessen, was Vollzeitbeschäftigte in Deutschland in ihren Lohntüten haben. Doch imposant ist die polnische Tendenz: Binnen zehn Jahren haben sich die Einkommen verdoppelt, bei Hochqualifizierten nähern sich die Einkommen den westlichen Niveaus sogar noch schneller an.
Das Opel-Werk in der Sonderwirtschaftszone Katowice/Subzone Gliwice besteht seit 1999. Mehr als 3.000 Mitarbeiter fertigen hier unter anderem das neue Astra-Modell / Jan Opielka, n-ost
Wegen der steigenden Einkommen hatte Anfang 2010 Leoni, Produzent von Kabelsystemen aus Nürnberg, die Schließung seines polnischen Werks in Ostrzeszów angekündigt. 500 Mitarbeiter sollten gehen. Als Hauptgrund gab das Unternehmen an, an dem Standort in einer Subzone bei Łódź nicht mehr „zu wettbewerbsfähigen Konditionen“ produzieren zu können. Doch Leoni überlegte es sich anders – die 500 Mitarbeiter arbeiten weiter. Leoni bleibt also – und andere Unternehmen kommen ins Land.
Doch etliche Sonderwirtschaftszonen machen nicht den Eindruck, dass sie sich halten werden, wenn 2020 die staatliche Förderung ausläuft. In Katowice beispielsweise sehen die Fabriken teils immer noch provisorisch aus. Manche haben nicht einmal Parkplätze für die Mitarbeiter. Das Gros sind Fertigungsstätten, die so gut wie alles herstellen: Hochwertige High-Tech-Erzeugnisse, Zubehör für die Auto-Industrie, sanitäre Anlagen. „Wir konkurrieren mit anderen Ländern und können es uns nicht leisten, einen Investor, der eine weniger qualifizierte Produktion aufbauen will, abzuweisen“, sagt Andrzej Pasek, Vizechef der Wirtschaftszone Katowice. „Opel war eben ein Glücksfall.“
Doch immer mehr Zonen wollen ihr Image als Billigproduzenten für alles loswerden. Denn wenn die Löhne in Polen weiter steigen, könnten bald noch mehr Investoren in die benachbarte Ukraine oder andere Länder abziehen, wo sie nur einen Bruchteil an Arbeitskosten zahlen. Einige polnische Zonen setzen deshalb nun vermehrt auf Forschung und Entwicklung als neuen Wettbewerbsvorteil.
Ein positives Beispiel aus der als „Polen B“ geltenden, strukturschwachen Region Ostpolens ist der Europark Mielec. Mielec wirbt mit einem sogenannten „Luftfahrt-Tal“, das ausländische und polnische Unternehmen aus dem Hochtechnologie-Sektor anzieht. 22.000 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Auch die deutsche MTU, Triebwerkshersteller und Serviceanbieter der Luftfahrtindustrie, ist hier vertreten. Wenn es nur um die Einkommen gegangen wäre, hätte MTU Polen nicht gewählt, sagt MTU-Sprecher Odilo Mühling. „ Für Polen spricht die gute Infrastruktur, die hohe Qualifikation und auch die Verfügbarkeit der Mitarbeiter“. Man arbeite zudem eng mit der technischen Uni Rzeszów zusammen.
In der Nähe vieler Sonderwirtschaftszonen schießen sogenannte Industrie- und Technologie-Parks aus dem Boden. Ziel ist es, den Wissenstransfer zwischen innovativen Unternehmen zu fördern, Start-Ups mit günstigen Konditionen zu locken und stärker auf neue Technologien zu setzen. So entwickelt sich die westpolnische Stadt Breslau in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Wissens- und Forschungszentrum. Hierhin zog es auch Lukasz Kozera, einen Biotechnologen, der in England promoviert hat. „Wenn ich in Polen eine gutbezahlte Stelle bekomme, dann gehe ich nach Wrocław“, sagte sich der Pole, als er 2008 an seiner Dissertation schrieb. Nun lebt und arbeitet er in Wrocław im sich rasch entwickelnden Forschungsinstitut European Institute of Technology (EIT). „Ich arbeite an Kooperationen mit der Industrie, und sehe für mich tolle Perspektiven“, sagt der 31-Jährige.
Insgesamt wächst in Polen die Zahl von Unternehmen, die jenseits niedriger Einkommen investieren, produzieren und forschen. Damit steigt die Zahl von Hochqualifizierten, die entsprechende Einkommen erzielen – parallel zu den Sonderwirtschaftszonen-Steueroasen.