Aderlass bei Ärzten
Marius* bereitet sich auf 24 Stunden Bereitschaftsdienst vor. „Mal schauen, wie viele OPs wir haben“, sagt er und lächelt selbstbewusst. Der 34-jährige Facharzt für Anästhesie arbeitet seit einem Jahr in einem Krankenhaus im Ruhrgebiet, kommt aber ursprünglich aus Bukarest. Dort hat er in einem der besten Gymnasien Deutsch gelernt, danach Medizin studiert. Als er mit dem Studium fertig war, bot ihm ein berühmtes öffentliches Klinikum der rumänischen Hauptstadt eine Teilzeitstelle an. „Knapp 200 Euro im Monat habe ich dort verdient, vielleicht ein bisschen mehr, wenn ich öfter Bereitschaftsdienst hatte. Zum Glück konnte ich bei meinen Eltern wohnen und musste keine Miete bezahlen. Aber auch so deckt dieses Gehalt nicht einmal die Kosten für Lebensmittel“, erzählt er.
Der junge, ehrgeizige Arzt entschied sich also, nach den rumänischen Regeln zu spielen. „Ich habe mehrere Jahre unter der so genannten ‚Diktatur des Umschlags‘ gelebt“, erzählt Marius. „Fast ohne Ausnahme reichten mir unaufgefordert alle Patienten Kuverts mit Geldscheinen, die ärmeren Leute gaben so um die zehn Euro. Meine Regel war: Das Geld niemals vor der Behandlung zählen, um nicht beeinflusst zu werden. Aber natürlich war ich sauer, wenn ich nach Dienstende die Umschläge aufmachte und nicht einmal 50 Euro darin fand. Irgendwann hatte ich es satt.“ Einen Sprachtest und ein paar Bewerbungen später war Marius in Deutschland.
Zwar bleibt der Arbeitsmarkt in Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern für die meisten Rumänen und Bulgaren voraussichtlich noch drei Jahre geschlossen. Aber diese Einschränkungen betreffen die qualifizierten Arbeitskräfte nur wenig. Ein rumänischer Arzt, der in Deutschland arbeiten will, bewirbt sich direkt bei deutschen Krankenhäusern. Wenn diese ihn einstellen wollen, schicken sie einen Brief an die Agentur für Arbeit, in dem sie ihre Absicht erklären und auf den Mangel an einheimischen qualifizierten Arbeitskräften hinweisen. Dann hat die Behörde meistens keine andere Wahl, als die Arbeitserlaubnis zu erteilen. Noch einfacher ist es, wenn man als selbstständiger Hausarzt arbeiten will. Dafür braucht man nämlich keine Arbeitserlaubnis, denn die Einschränkungen galten nie für Selbstständige.
Seit dem EU-Beitritt 2007 haben rund 8.000 der insgesamt 40.000 rumänischen Ärzte das Land verlassen, um in Westeuropa zu arbeiten. Die meisten davon gehen nach Spanien oder Italien, aber immer mehr kommen auch nach Deutschland. Laut Statistiken der Bundesärztekammer waren es mehr als 1.000 rumänische Mediziner bis Ende 2009 – Tendenz steigend.
Auf 1.000 Rumänen kommen inzwischen nur noch knapp zwei Mediziner bei einem europäischen Durchschnitt von 3,5 Ärzten pro Einwohner. „Wenn das so weitergeht, werden unsere Krankenhäuser bald wie Museen funktionieren. Patienten werden sie nur besuchen können, ohne sich dort behandeln zu lassen“, kommentiert Vasile Astaratoae, Präsident des Rumänischen Ärzteverbandes. Schuld daran ist vor allem die chronische Unterfinanzierung des gesamten Gesundheitswesens. In den vergangenen 20 Jahren hat Rumänien im Durchschnitt nur 3,2 Prozent des BIP für Gesundheit ausgegeben, während diese Zahl in Westeuropa bei zehn Prozent liegt.
Die Vernachlässigung der langfristigen Investitionen in den fetten Jahren vor der Wirtschaftskrise rächt sich jetzt. Um die Staatsschulden in Grenzen zu halten, versucht die Regierung seit einem Jahr bei allen möglichen Ausgabenposten drastisch zu kürzen. Gesundheitsminister Attila Cseke kündigte im Februar an, dass fast 200 Krankenhäuser zusammengelegt oder geschlossen werden sollen. Seitdem protestieren die betroffenen Kommunen und Ärzteverbände gegen die mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Reform. Die Regierung in Bukarest erklärte sich jetzt bereit, über Einzelfälle zu verhandeln, hält aber am Gesamtprojekt fest.
Gleichzeitig rücken in Rumänien immer mehr Fälle von ärztlichen Behandlungsfehlern oder grober Fahrlässigkeit ins öffentliche Bewusstsein. Eine der wichtigen Ursachen dafür ist, neben Inkompetenz, die mangelnde Motivation der Ärzte, wie mehrere unabhängige Studien zeigen. Viele rumänische Politiker und Prominente lassen sich im Ernstfall lieber in Wien als in Bukarest behandeln, wie die Medien immer wieder berichten.
Gesundheitsministerium und Regierung räumen die Probleme ein, verweisen aber auf die allgemeine Wirtschaftslage im Land. Angesprochen auf die geringen Gehälter der Ärzte antwortete Staatspräsident Traian Basescu unlängst in seinem spontanen Stil: „Ich würde auch gerne mehr als 1.100 Euro im Monat verdienen. Aber Rumänien kann sich das leider noch nicht leisten.“
(*) Name geändert