Anti-Korruptionskampf als Seifenoper
Siret ist eine kleine Stadt in Rumänien, die vergessen in der idyllischen Landschaft der historischen Bukowina liegt, direkt an der Grenze zur Ukraine. Der Grenzposten war den meisten Rumänen völlig unbekannt, bis Anfang des Monats vermummte Spezialkräfte zwischen den kleinen Hügeln und mittelalterlichen Kirchen der Stadt auftauchten. In einer spektakulären Aktion nahmen sie fast alle rumänischen Zoll- und Grenzpolizeibeamten fest und flogen sie in Hubschraubern zur Staatsanwaltschaft nach Bukarest.
Denn an dem unscheinbaren Grenzübergang in Siret floriert seit Monaten der Zigarettenschmuggel. Die Beamten hätten systematisch und in organisierter Form davon profitiert, heißt es in der Erklärung der Staatsanwälte. Der Kontrollpunkt sei eine „echte Gelddruckmaschine“, wird ein Zöllner aus einem der privaten Gespräche zitiert, die abgehört und veröffentlicht wurden.
Doch der plötzliche, groß angelegte Kampf gegen die Korruption verwirrt nicht nur die Menschen in Siret, sondern viele Rumänen. Denn die Probleme sind schon lange bekannt. Regionalzeitungen berichten seit Jahren über die prächtigen Villen der Zöllner, die sie sich von ihren kleinen Gehältern unmöglich leisten können.
Erst seit Rumäniens Schengen-Beitritt wegen der Korruptionsprobleme auf dem Spiel steht, kümmert sich die Politik um das Problem – zumindest nach außen. Eigentlich sollte das Land dem grenzfreien Raum bereits im März beitreten. Dann würde es keine Passkontrollen zwischen Rumänien und den anderen EU-Ländern mehr geben. Dafür müssten aber die Übergänge zu den Nachbarstaaten Serbien, Moldawien oder der Ukraine, die noch nicht zur EU gehören, besser gesichert werden. Wegen der Korruption an den Grenzen blockieren Deutschland und Frankreich den Beitritt. Die entsprechende Abstimmung im EU-Ministerrat wurde vertagt.
Nun zirkulieren in den rumänischen Medien wilde Spekulationen über die wahren Gründe für die massiven Operationen. Manche vermuten, dass Staatspräsident Traian Basescu, der Ende Januar auf einem europäischen Treffen in Straßburg auf eine bevorstehende Großaktion gegen Korruption hindeutete, mit den Aktionen einen Widersacher innerhalb der eigenen Partei loswerden wolle. Machtmotive sind natürlich nicht auszuschließen, aber nicht zuletzt Basescus jüngste Äußerung, dass die Aktion „ein Teil unserer Beitrittsvorbereitung war“ sowie die Art und Weise der Operation lassen viele Kommentatoren auf einen PR-Trick der Regierung schließen.
Schließlich stehen die Behörden in Bukarest unter Druck, konkrete Ergebnisse bei der Korruptionsbekämpfung vorzulegen. So führt die rumänische Polizei seit Wochen fast täglich öffentlichkeitswirksame Razzien an den Grenzen durch. Vor dem Hauptsitz der Staatsanwaltschaft in Bukarest warten Reporter und Fernsehkameras auf die Zöllner, die mit Handschellen abgeführt werden – meistens abends, pünktlich zur Tagesschau. Auf die Razzien im nordöstlichen Siret folgten weitere Polizeioperationen an der Grenze zu Serbien. Die Anzahl der Festnahmen liegt inzwischen fast bei 200.
Und tatsächlich ist der Schmuggel massiv: Laut Statistiken der rumänischen Polizei ist die Menge der illegal eingeführten Zigaretten 2010 um 175% gestiegen. Grund dafür sind die großen Preisunterschiede: In Rumänien kostet eine Packung 2,50 Euro – dreimal so viel wie in der benachbarten Ukraine. In den vergangenen drei Jahren hat sich der Preis für Tabakwaren in Rumänien verdoppelt. Rumänien hatte sich bei seinem EU-Beitritt 2007 verpflichtet, Zigaretten, aber auch Alkohol oder Benzin, immer stärker zu besteuern, bis der Preis den europäischen Durchschnitt erreicht.
Die steigenden Preise bieten Schmugglern eine hervorragende Geschäftsgrundlage. Zeitungsberichten zufolge kassieren die Zöllner einen Euro Schmiergeld für jeden geschmuggelten Zigarettenkarton. Die abgehörten Gespräche lassen auf ein gut organisiertes und sehr lukratives Geschäft schließen, das jedem Beamten bis zu 300 Euro pro Tag einbringt. Der Durchschnittslohn in Rumänien liegt bei 330 Euro pro Monat.
Radu Marginean, oberster Zoll-Chef in Bukarest, wurde inzwischen abgelöst: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn, ebenfalls wegen Korruption. Doch viele Rumänen zweifeln daran, dass die bisherigen Aktionen das Problem an der Wurzel beheben. Denn Hinweise, dass nicht nur die Zollbeamten, sondern auch ihre Chefs aus Politik- und Regierungskreisen verwickelt sind, gibt es reichlich. Ein Zeuge erklärte jüngst, dass eine nicht genannte Partei mit einem Teil der Schmiergelder ihren Wahlkampf finanzierte. Hochrangige Politiker allerdings bleiben vom großangelegten Kampf gegen die Korruption bisher verschont.
ENDE
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