Rückkehr in die Heimat
Wenn Anna Pryzborowska in ihrem Fotoalbum blättert, werden Erinnerungen wach: Fotos zeigen sie mit ihren Eltern, ihren Geschwistern und ihren deutschen Schulfreunden am Hamburger Hafen und beim Spaziergang an der Elbe. Doch Deutschland ist für die 30-Jährige inzwischen Vergangenheit: Die Juristin lebt wieder in Polen.
Als Kind war die junge Frau mit ihren Eltern nach Hamburg gekommen, nach ihrem Studium ging sie mit einem Stipendium nach Krakau. Als ihr die Universität eine Stelle anbot, blieb sie. Ihre Entscheidung hat sie nicht bereut. „Die wirtschaftliche Lage in Polen verbessert sich, während das, was in Deutschland sehr attraktiv war – der Sozialstaat, bezahlte Überstunden – zurückgeht. Die Entwicklung in Deutschland ist eher negativ, in Polen dagegen ist sie sehr positiv“, meint Anna.
Noch vor ein paar Jahren konnten sich die wenigsten in Deutschland lebenden Polen vorstellen, dass sie einmal zum Arbeiten in ihre Heimat zurückkehren würden. Doch das ändert sich gerade. Nach Angaben des polnischen Statistikamtes GUS kehrten 2008 rund 3.200 Polen in ihre Heimat zurück. Das sind sechsmal so viele wie Anfang der 90er Jahre. Gleichzeitig ist die Zahl der Auswanderer zurückgegangen: Während in den 1990er Jahren auf einen Rückkehrer 22 Auswanderer kamen, sind es heute nur noch vier Auswanderer pro Rückkehrer.
Wenn es nach dem Soziologen Cezary Obracht-Pradzyński geht, wird sich dieser Trend noch verstärken. Grund dafür sind die steigenden Löhne und die überraschend robuste Wirtschaft des Landes. Experten sprechen vom „Wirtschaftswunder an der Weichsel“: Riesige, rund um die Uhr geöffnete Einkaufszentren prägen mittlerweile das Bild vieler polnischer Städte, in Warschau entstehen neue Banken- und Bürotürme.
Mittlerweile sind die Löhne in Deutschland durchschnittlich nur noch drei bis viermal höher als in Polen. „Wenn sich die Verdienstmöglichkeiten angleichen, verlassen die Menschen ihre Lieben nicht so schnell oder kehren sogar in ihre Heimat zurück. Erst, wenn ich für die gleiche Arbeit im Ausland fünfmal mehr Geld bekomme als in meiner Heimat, lohnt es sich auszuwandern“, sagt Obracht-Pradzyński.
Deutschland ist deshalb vor allem für jene Polen interessant, die wenig verdienen oder in ihrer Heimat keine Arbeit finden. Mit gut elf Prozent ist die Arbeitslosenquote in Polen recht hoch, außerdem profitieren nicht alle gleichermaßen von den Lohnsteigerungen. Wenn Deutschland ab dem 1. Mai seinen Arbeitsmarkt für die Bürger aus den neuen EU-Ländern öffnet, werden sich deshalb etliche Polen auf den Weg ins Nachbarland machen. Sie dürfen dann, anders als bisher, ohne Genehmigung jeden Job annehmen. Polnische Pflegekräfte beispielsweise lernen zur Zeit massenweise Deutsch, um sich auf die Arbeit in einem Pflegeheim in Deutschland vorzubereiten. Eine von ihnen ist Jola Musial. „Am liebsten würde ich nach Bayern gehen, weil ich dort eine Freundin habe. Dann fühle ich mich nicht so einsam”, sagt sie. Die schlanke Mittvierzigerin war vorher als Krankenschwester beim Polnischen Roten Kreuz tätig.
Die Juristin Anna will dagegen nicht mehr nach Deutschland zurück. Denn mittlerweile hat sich sie in Krakau ihren Ehemann und Freunde gefunden. Ab und zu ein Besuch in Hamburg bei ihren Eltern ist für sie aber weiterhin ein Muss.