Wenig Hoffnung auf Europa
Seit dem 19. Dezember versucht Alena, keine belarussischen Waren zu kaufen. Das ist schwer, weil sie Belarussin ist und in Minsk lebt. „Das ist vielleicht eine merkwürdige Art zu zeigen, dass ich seit der Präsidentschaftswahl mit diesem Staat nichts mehr zu tun haben will. Aber Demonstrieren geht ja nicht mehr“, erklärt sie. Die 29-jährige Lehrerin war bei der Kundgebung nach der Wahl dabei. Es sei reines Glück, dass ihr nichts passiert sei, sagt sie.
Seit dem 19. Dezember ist in Belarus nichts mehr, wie es war. Am Wahlabend wurden fast 700 Demonstranten, Oppositionspolitiker und willkürlich auch Passanten festgenommen. Zahlreiche Videos im Internet zeigen, wie die Polizei die unbewaffneten Demonstranten zusammenschlägt. Für die Organisation einer nicht erlaubten Kundgebung sitzen etliche Andersdenkende seitdem in Untersuchungshaft, darunter fünf ehemalige Kandidaten der Präsidentschaftswahl. Sie wurden am 11. Januar von Amnesty International als politische Gefangene anerkannt.
Das gewaltsame Vorgehen der Polizei und die Verurteilung von hunderten Bürgern, die ihr Versammlungsrecht in Anspruch nahmen, wurde scharf von der internationalen Gemeinschaft kritisiert. Alle Verhafteten müssten unmittelbar frei gelassen werden, hieß aus Berlin, Paris, Warschau und Brüssel.
Nun berät die Europäische Union über Sanktionen gegen Belarus. Nach den 27 EU-Botschaftern in Brüssel hat sich auch das Europäische Parlament dafür ausgesprochen, das 2008 ausgesetzte Einreiseverbot für den autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko wieder in Kraft zu setzen. Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft befürwortete weitere Strafmaßnahmen gegen die politische Führung des Landes. Die Bevölkerung müsse allerdings geschont werden.
Das deutlichste Signal kam aus dem Nachbarland: Polen hat zum Jahresanfang die Gebühren für Einreisevisa für belarussische Bürger abgeschafft. Die Regierung in Warschau will internationale Hilfe für die Belarussen mobilisieren und plant dazu am 2. Februar eine Geberkonferenz. An polnischen Hochschulen sollen Studienplätze für verfolgte belarussische Studenten eingerichtet werden. Geplant ist weiterhin die Gründung eines Informationszentrums der belarussischen Opposition.
Doch bislang machen westliche Drohungen und Solidaritätsaktionen auf den belarussischen Präsidenten Lukaschenko wenig Eindruck. Auch Wochen nach der Präsidentschaftswahl setzt der Geheimdienst KGB die Welle von Durchsuchungen in Redaktionen, von Befragungen und Festnahmen politischer Aktivisten, Vertretern von Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen fort.
Viele Belarussen glauben nicht daran, dass die EU viel für sie machen kann. Zu schlecht sind die Erfahrungen der vergangenen Jahre. Denn während der 16-jährigen Amtszeit von Lukaschenko hat Brüssel bereits alle verfügbare Mittel angesetzt: Nach den Wahlen 2006 hatte die EU bereits ein Einreiseverbot gegen Funktionäre und den Präsidenten verhängt, sowie deren Vermögen im Ausland eingefroren. Als Lukaschenko einige Oppositionelle freiließ, setze die EU das Einreiseverbot aus. Seit zwei Jahren verfolgt Europa eine Strategie der Annäherung. Seit 2009 führt die EU mit Minsk wieder einen politischen Dialog und nahm das Land in ihr Programm der Östlichen Partnerschaft auf.
Obwohl sie nicht viel Hoffnung auf Europa setzen, haben die Ereignisse der letzten Wochen viele Belarussen nachdenklich gemacht. Der Widerstand im Land ist gewachsen: Nach den gewaltsamen Ausschreitungen am Wahlabend und den massenweisen Verhaftungen sammelten viele Bürger Geld und warme Kleidung für die Inhaftierten. Viele glauben, dass die EU gegenüber Belarus am effektivsten handelt, wenn sie gleichzeitig Solidarität mit der Zivilgesellschaft und Sanktionen gegen das Regime ausspricht – zum Beispiel eine erleichterte Einreise und Austauschprogramme für die Bürger auf der einen und eingeschränkte Dialog und Sanktionen für die Beamten auf der anderen Seite.
Die Belarussin Alena macht weiter mit ihrem Boykott einheimischer Waren. Sie gibt zu, dass sie ganz ohne diese Produkte auf Dauer nicht auskommen wird. „Aber diesem Regime kann ich nie mehr vertrauen“, sagt sie.