Warschaus Börse auf der Überholspur
Der größte Handelsplatz in Ostmitteleuropa, die Warschauer Börse GPW, droht anderen europäischen Börsen immer mehr den Rang abzulaufen. Die Polen sind weiterhin optimistisch und rechnen für das neue Jahr mit einem ähnlichen Wachstum wie 2010. „Das Jahr 2011 wird nicht schlechter als das Vorjahr”, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Handelsplatzes, Ludwik Sobolewski, in Warschau. „Es wird mit Sicherheit auf einem ähnlichen Niveau Entwicklungsmöglichkeiten geben wie in den Vorjahren”, fügte der Manager hinzu.
Dabei hat die Warschauer Börse im abgelaufenen Jahr 120 Gesellschaften aufs Parkett gebracht. Damit tauchen die Polen sogar auf der Weltrangliste unter den ganz Großen wie dem Super-Wachstumsmarkt Szenzhen aus China, der New York Stock Exchange sowie der Nasdaq auf. Und auch in Europa lagen die Polen vorne: Die Londoner Stock Exchange LSE erreichte nur 89 Listings (inklusive Wachstumswerte), und die Deutsche Börse ermutigte lediglich 13 Unternehmen für eine Notierung. Das sind Zahlen, von denen benachbarte Finanzplätze wie die Wiener Börse nur träumen: Die Österreicher kamen mit der CEE-Gruppe, die sie mit den Handelsplätzen aus Budapest, Laibach und Prag bilden, gerade einmal auf zwei Initial Public Offerts (IPO).
Allerdings: Bei den Börsengängen in Warschau werden auch die die Werte vom Wachstumssegment NewConnect mitgezählt, das weniger hohe Anforderung an ein Listing stellt als herkömmliche Börsengänge. Auf diese Weise können auch kleinere Unternehmen den Gang aufs Parkett wagen. Die Neunotierungen dieser Gesellschaften bringen dem Finanzplatz nur geringes Kapital. Darüberhinaus kann sich der gesamte Emissionserlös der polnischen Hauptstadt 3,6 Milliarden Euro von Januar bis Ende November 2010 nicht mit den Einnahmen der Weltbörsen messen. Dennoch zeigt die hohe Zahl der Börsengänge, wie positiv derzeit das Umfeld in Polen ist. Noch vor ein paar Jahren hätte wohl niemand erwartet, dass die GPW in diesen Ranglisten überhaupt auftaucht.
Grund für das Börsenfieber ist die gute Wirtschaftslage. Polen hat die Finanzkrise relativ schadlos überstanden und gehörte auch 2010 wieder zu den Ökonomien in der EU, die Zuwächse ausweisen. „Wir befinden uns in einem gesunden makroökonomischen Umfeld“, erklärt Börsenchef Sobolewski. Die GPW werde nun auch international anders wahrgenommen. „Das ist für uns wichtig“, unterstreicht der Manager. Die Zeiten seien vorbei, in denen die Polen als postkommunistisches Land eingeordnet würden – neben den Handelsplätzen in Prag, Bratislava oder Budapest.
Mit einer Marktkapitalisierung von rund 132,4 Milliarden Euro und einem Umsatzwert der Aktien von 47,9 Milliarden Euro haben die Polen diese Konkurrenz aus der Region bis Ende November 2010 auch schon zahlenmäßig weit hinter sich gelassen. Und auch der westliche Mitbewerber aus Wien kommt mit 83,6 Milliarden Euro bzw. 33,3 Milliarden Euro nicht mehr an Warschau heran. „Ich bin sicher, unser Erfolg wäre sogar noch größer, wenn da nicht die Krise im Jahr 2008 gewesen wäre”, zeigt Sobolewski weiter Selbstbewusstsein.
Dieser Aufstieg in eine höhere Börsenliga spiegelt sich auch in der Bilanz wider, die von Zuwächsen gekennzeichnet ist. Die Warschauer Börse hat nach den ersten neun Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ihre Umsätze um 11,9 Prozent auf 165,5 Millionen Złoty (41,4 Millionen Euro) gesteigert. Und auch beim Ergebnis gab es ein Plus: Der operative Gewinn kletterte um 18,7 Prozent auf 74,9 Millionen Złoty (18,7 Millionen Euro).
„Für uns sind die Polen eigentlich keine Konkurrenten, weil sie eine andere strategische Ausrichtung und andere Voraussetzungen haben“, zeigt sich Heinrich Schaller trotz allem gelassen. Der Manager agiert als Vorstandsmitglied der Wiener Börse AG und CEE Stock Exchange Group. Die Warschauer Börse werde stark von den einheimischen Investoren dominiert, während die Wiener international ausgerichtet seien. „Darüber hinaus gibt es in Polen eine Vereinbarung zwischen der Regierung und dem Finanzplatz, um den Kapitalmarkt zu fördern“, sagt Schaller „Das ist bei uns ja auch anders: Die österreichische Regierung fördert Investments nicht gerade. Im Gegenteil: Sie denkt sich immer wieder neue Abgaben für den Kapitalmarkt aus.“