„Wir wollen fair behandelt werden“
ostpol: Die EU hat drei Verfahren eingeleitet, weil die Unabhängigkeit von Justiz und Notenbank in Ungarn gefährdet sind. Doch Premier Orbán sagt, er beuge sich nur der Macht, nicht den Argumenten.
Zsolt Németh: Vertragsverletzungsverfahren sind in der EU ein ganz normaler Vorgang, den wir für richtig halten. Der Vorwurf der EU, dass die Unabhängigkeit der Nationalbank gefährdet sei, ist aber sehr ernst zu nehmen, denn es geht um mehr als um einen Rechtsstreit. Der Vorwurf berührt unser Demokratieverständnis. Wir können über konkrete Themen gerne diskutieren, aber wir können es nicht hinnehmen, dass unsere Verbundenheit zu Europa und unser Glauben an die Demokratie in Frage gestellt werden.
Als Strafe für unsolide Haushaltspolitik verliert Ungarn im Sommer möglicherweise EU-Fördermittel in Höhe von fast 500 Millionen Euro. Warum legt sich Ungarn ständig mit der EU an?
Németh: Die Art und Weise, wie die EU über die Aussetzung der Mittel entschieden hat, stimmt mich optimistisch. Auch viele EU-Länder wie Großbritannien, Tschechien, Österreich, Polen wären mit einem Aufschub der Strafe einverstanden gewesen. Ungarn hat sich in den vergangenen Jahren an die strengen haushaltspolitischen Vorgaben gehalten, und das können wir der EU-Kommission im Juni hoffentlich auch beweisen. Für diesen Fall haben wir ihr Versprechen, dass die Sanktionen ausgesetzt werden.
Kritik kommt nicht nur von außen, Widerstand regt sich auch im Land, wie zuletzt am 15. März, dem Nationalfeiertag. Was sagen Sie den Menschen, die in Ungarn zu tausenden auf die Straße gehen?
Németh: Ungarn ist eine Demokratie, in der es sehr viele Meinungen und Bewegungen gibt. Wir sind nun bald zwei Jahre an der Regierung, und der Wandel hat sich sehr schnell vollzogen. Wir haben mehr als 300 Gesetze verabschiedet…
…und haben damit die Kontrolle über die Justiz, die Zentralbank, religiöse Gruppen und die Medien ausgebaut, so der Vorwurf. Mit Ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit haben sie die ungarische Verfassung geändert, die viele ablehnen. Vielen ging das anscheinend zu schnell.
Németh: Das ist möglich. Diese Kritik nehme ich an. Doch in den letzten 20 Jahren gab es in Ungarn niemals eine solche politische Konstellation, die es zugelassen hätte, eine neue Verfassung zu verabschieden, die übrigens alle Regierungen seit der Wende wollten. Und plötzlich gab es zugleich den Willen und die politische Macht. Die nächsten zwei Jahre werden wir etwas ruhiger angehen.
Was war der größte Fehler, den Ihre Regierung in den vergangenen Jahren gemacht hat?
Németh: Wir haben den Bürgern unsere Politik nicht richtig erklärt, und auch dem Ausland nicht dargelegt, was warum in Ungarn passiert. Und deshalb treffen wir in vielen Ländern auf Unverständnis, wie zum Beispiel in Deutschland. In den kommenden Jahren müssen wir also unsere Politik geduldiger erläutern, auch befreundeten Ländern wie Deutschland gegenüber. In einem solchen Dialog sind wir offen, wenn man sich uns gegenüber korrekt verhält. Wir möchten von unseren ausländischen Partnern einfach fair behandelt werden.
Warum hat die Fidesz ihre Politik den Menschen nicht früher erklärt?
Németh: Mehr als eine Million Bürger haben zum Beispiel ihre Meinung über die neue Verfassung zum Ausdruck gebracht. Aber wenn eine neue Gesetzesordnung entsteht, ist es wichtig, ihre Funktionsweise zu verstehen, die Schwachpunkte zu identifizieren und sie gegebenenfalls zu korrigieren. Dafür haben wir jetzt zwei Jahre Zeit, dann werden uns die Wähler sagen, was sie davon halten.