Warnung vor Zensur
Auf dem Freiheitsplatz, vor dem imposanten neogotischen Gebäude des ungarischen Parlaments, haben sich Journalisten, Schriftsteller und Intellektuelle versammelt. Es ist ein symbolischer Ort. Wo die Menschen 1989 gegen die kommunistische Diktatur protestierten, wird heute wieder demonstriert – diesmal gegen Ministerpräsident Viktor Orbán, eine der zentralen Figuren der damaligen antikommunistischen Bewegung. Orbáns Kollegen, die Abgeordneten der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz, haben am Montag den letzten Teil der neuen „Medienverfassung“ verabschiedet, und die Betroffenen warnen vor Zensur. Ein Leitartikel in der linksliberalen Tageszeitung Népszabandság spricht vom „Ende der Pressefreiheit“ in Ungarn.
Tatsächlich sind die neuen Mediengesetze seit dem Sommer ein hoch umstrittenes Thema in einem politisch extrem polarisierten Land. Acht Jahre lang war Orbán in der Opposition, und beschwerte sich ständig, die „linke Presse“ würde über ihn und seine Partei nicht objektiv berichten. Doch bei den Wahlen im April erlangte Orbans Fidesz, durch die Wirtschaftskrise nach oben gespült, eine komfortable Zweidrittelmehrheit. Sie erlaubt es dem Ministerpräsidenten, jedes Gesetz und sogar die Verfassung nach Belieben ändern zu können, ohne eine starke Opposition fürchten zu müssen. Als die neue Regierung kurz nach dem Amtsantritt ankündigte, dass sie eine grundsätzliche Neuregulierung der Medien vorbereitet, überraschte dies niemanden in Ungarn.
Das Parlament verabschiedete in der Folgezeit ohne große Debatten ein Gesetz nach dem anderen. Das Paket definiert den Rahmen sowohl für öffentlich-rechtliche als auch für private Radio- und Fernsehsender, für Printmedien und für Online-Nachrichtenportale. Fidesz-Abgeordnete und Befürworter der neuen Gesetze argumentieren, diese würden die Spielregel klarer und einfacher gestalten. So wurden zum Beispiel zwei Aufsichtsinstitutionen zusammengelegt und ein neuer Medienrat gebildet, der als einzige Behörde alles kohärenter und kostengünstiger regulieren soll, so das Argument der Regierung. Journalisten, Nichtregierungsorganisationen und Fidesz-Gegner kritisieren, der fünfköpfige Medienrat vereinige unverhältnismäßig viel Macht auf sich, während seine Unabhängigkeit nicht garantiert sei.
Medienwächter aus Fidesz-nahen Kreisen
In der Tat besteht diese Super-Aufsichtsbehörde aus einem Direktor, den der Ministerpräsident ernennt, und vier weiteren Mitgliedern, die vom Parlament gewählt werden – entweder einstimmig durch alle Fraktionen, oder eben mit Zweidrittelmehrheit. Als die neuen Ämter vor wenigen Monaten zum ersten Mal besetzt wurden, wunderte sich kein Gegner der neuen Gesetze, dass alle fünf Medienwächter aus Fidesz-nahen Kreisen stammen. Ihre Amtszeit beträgt neun Jahre und ihre Befugnisse sind großzügig definiert. Sie entscheiden über jeden eventuellen Verstoß gegen „objektive und ausgeglichene Berichterstattung“, unabhängig davon, ob der Fall im Radio, im Fernsehen, in einer Zeitung oder in den Onlinemedien vorkommt. Sie können private und staatliche Medieninstitutionen mit Geldstrafen belegen, die umgerechnet bis zu 700.000 Euro betragen. Sie bestimmen die Richtlinien bei den öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsendern, und entscheiden dort sogar über Haushaltsfragen.
Mehrere Tages- und Wochenzeitungen haben in den vergangenen Wochen gegen die neuen Gesetze protestiert und ihre Titelseiten leer gelassen. „Wir werden unseren Stil nicht ändern“, schreibt Journalist Daniel Rényi vom Nachrichten- und Kulturmagazin Magyar Narancs. „Ich schäme mich für Ungarn. Das sind keine europäischen Gesetze“, fügt er hinzu. Die größte Oppositionspartei im Parlament, die sozialdemokratische MSZP, wirft Orbán autoritäre Tendenzen vor. Fidesz beabsichtige, alle Medien zu Parteimedien zu machen, sagt die Abgeordnete und frühere Vorsitzende der MSZP, Ildikó Lendvai.
Auch international stößt die neue ungarische „Medienverfassung“ auf scharfe Kritik. Der Europäische Journalistenverband und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprechen von „undemokratischen“ und „diktatorischen“ Bestimmungen. Die Regierung in Budapest verteidigt ihre Initiative mit dem Hinweis, dass die Regulierung der Medien eine normale Praxis darstelle, die in Europa gang und gäbe sei. Die neuen Gesetze treten am 1. Januar 2011 in Kraft.