Rumänien

Schweineschlachten im Plattenbau

Ohrenbetäubende Schreie dringen durch die Wände des Bürogebäudes im rumänischen Herrmannstadt. Die Angestellten stürzen zum Fenster. Doch im Hof gegenüber ist es bereits vorbei. Dort wurde gerade ein Schwein geschlachtet. „Das geht jedes Jahr so – traditionell werden Ende Dezember die Schweine geschlachtet,“ erzählt eine Angestellte. Dass dies mitten in der Stadt und direkt vor ihrem Fenster geschieht, stört sie nicht.

Ob auf dem Land oder in der Stadt, ob im eigenen Hof oder im Plattenbauviertel: Wer in Rumänien etwas auf sich hält, schlachtet zu Weihnachten ein Schwein. Rund vier Millionen Tiere lassen jedes Jahr zu den Festtagen ihr Leben. Rumänen, die im Ausland leben, können ihren Familien daheim sogar ein Schwein übers Internet bestellen. „Tradition ist eben Tradition“, sagt die 50-jährige Maria Manole. „Als wir im Wohnblock gewohnt haben, sind wir immer aufs Land gegangen zum Schlachten. Unsere Nachbarn haben es aber in der Stadt gemacht. Sie haben vor dem Wohnblock das Tier geschlachtet und grob tranchiert, der Rest wurde in der kleinen Küche gemacht. Wir schlachten es mittlerweile auf dem eigenen Hof.“

„Der mutigste Mann in einer Familie oder im Freundeskreis schlachtet das Schwein. Oft ist er kein Metzger, hat aber Erfahrung“, erklärt Maria. „Meistens ist es nicht der Besitzer des Schweins, der ihm den Hals durchschneidet“. Lebendige Schweine kann man in jeder größeren Stadt auf dem Wochenmarkt kaufen.


Das gerade geschlachtete Schwein wird zum Zerschneiden getragen. Foto: Sebastian Marcovici

Eigentlich ist das Schweineschlachten in Hermannstadt verboten. Es darf nur auf autorisierten Schlachthöfen geschlachtet werden. Laut EU-Normen müssen die Tiere vor dem Schlachten außerdem betäubt werden. Doch Rumänien hat die EU-Regeln noch nicht umgesetzt und die Jahrhunderte alte Tradition des häuslichen Schlachtens hält sich weiter. Auf dem Land ist es noch viel schwerer, sie abzuschaffen als in der Stadt.

Maria freut sich, denn morgen wird bei ihr geschlachtet. Ihre 27-jährige Tochter Ramona fährt weg, bis alles vorbei ist. Sie will das grausame Spektakel nicht verfolgen. „Früher habe ich meine Töchter nicht zum Schlachten mitgenommen. Im Nachhinein bereue ich das, denn diese Tradition geht jetzt in meiner Familie verloren. Dabei schmeckt das Fleisch vom eigenen Schwein immer am besten“, sagt Maria. Immerhin: Ihr Neffe und sein 7-jähriger Sohn werden am Schlachttag  dabei sein. Nachdem die Borsten abgefackelt sind, ist der Junge der erste, der am Ohr knabbern darf.


Die Tiere werden beim Schlachten nicht betäubt.Foto: Sebastian Marcovici

„Nur das Schreien des Schweines ist ein bisschen grausam, aber wenn man das Tier nicht als Haustier betrachtet, sondern als Nahrungsmittel, ist das auch kein Problem“, sagt Maria. Als erstes ritzt sie dem Tier ein Kreuz auf die Stirn. Nach dem Messerstich fängt sie das Blut auf, das aus der Halsschlagader des toten Schweins fließt – Blutwurst ist eine Delikatesse in Rumänien. Später wäscht sie die Därme des Schweins – das ist Frauensache, genau wie das Töten Männersache ist. Erfahrung braucht man nicht, um Schweinedärme zu waschen – aber einen guten Magen.

In der Familie Manole ist der Schlachttag straff organisiert. Die Männer packen das Schwein in Stroh ein und fackeln die Borsten ab, dann wird es gewaschen. Blut und Wasser vermischen sich dabei und fließen direkt auf die Straße – in manchen Vierteln von Hermannstadt gibt es noch keine Kanalisation. Die Männer tranchieren das Schwein, die Frauen bereiten verschiedene Wurstsorten und andere traditionelle Fleischgerichte vor. Geräuchert wird auf dem Hof, in einem umgebauten Schrank.


Das Schwein wird zerschnitten.Foto: Sebastian Marcovici

Ein Tag lang arbeitet eine Familie, bis alles seine Ordnung hat, bis jedes Stück Fleisch oder Fett verarbeitet oder eingefroren wurde. Am Abend gibt es ein traditionelles Essen – eine Art „Tränenessen für das Schwein“. Dabei wird allerdings nicht getrauert sondern gefeiert, zum Schweinefleisch wird selbst gebrannter Schnaps serviert – damit das fette Essen nicht schwer im Magen liegt. „Da spürt man die Vorfreude auf Weihnachten“, erzählt Maria mit leuchtenden Augen. „Die Fastenzeit ist vorbei und Weihnachten klopft an die Tür.“


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