Lettland

Die Heimat des Weinachtsbaums

Strahlende Lichterketten, glänzende Kugeln in Rot und Gold, Strohsterne, Äpfel und Glöckchen verleihen dem Weihnachtsbaum in Riga ein prächtiges Gewand. Kaum dämmert der Abend, strömen die Leute auf den Weihnachtsmarkt der lettischen Hauptstadt. Da locken nicht nur bunt beleuchtete Buden mit Glühwein, Paradiesäpfeln und gebrannten Mandeln. Vor allem will jeder einmal den riesigen Christbaum aus der Nähe sehen.

Im Radio und im Fernsehen, überall hätte sie davon gehört, dass die geschmückte Tanne vor 500 Jahren in Riga erfunden worden sei, erzählt eine Frau, die sich an einer Tasse Glühwein die Hände wärmt. „Das ist eine Ehre für uns Rigenser. Wir sind jetzt die Hauptstadt des Weihnachtsbaums, das lockt sicher viele Touristen an.“


Die geschmückte Weihnachtstanne ihn ihrer Geburtstadt Riga – wenn man den Letten glaubt. Foto: Johannsmeier

Tatsächlich kommen die Leute von überall her. Er habe aus dem Internet erfahren, dass der Weihnachtsbaum in Riga erfunden worden sei, sagt ein Tourist aus Norwegen. „Die Stimmung ist wunderbar. Bei uns im Norden gibt es solche Märkte nicht, ich komme sicher wieder.“ Sogar die Bordzeitung der nationalen Fluggesellschaft „airbaltic“ werbe mit dem 500-jährigen Geburtstag des Christbaumes, verrät der Bürgermeister von Riga, Nils Uzakovs. Und die lettische Nationalbank hat eigens eine Münze mit Weihnachtsbaum geprägt. Weihnachten sei schon immer werbewirksam gewesen, meint Nils Uzakovs.

So wie die Finnen einst den Wohnort von Santa Claus entdeckt haben, versuchen jetzt die Letten aus der „Hauptstadt des Weihnachtsbaums“ Kapital zu schlagen. Seit zwei Jahren erlebt Lettland die größte Wirtschaftskrise aller Zeiten. Jetzt könnten die Letten nicht nur ihre Herzen mit Lichtern erwärmen, sondern auch den Einzelhandel ankurbeln.

„Zum Glück sind wir die Ersten, die den Geburtstag des Weihnachtsbaums feiern. Das hilft den Geschäftsleuten und der Stadt“, sagt der Bürgermeister.

Niemand wisse genau, ob der erste geschmückte Christbaum tatsächlich eine Tanne oder vielmehr eine Holzpyramide gewesen sei, erklärt der Historiker Vidvuds Bormanis. In der Chronik der so genannten „Schwarzhäupter“ sei er allerdings auf jene Geschichte gestoßen, in der von einer Tanne die Rede ist. Die Schwarzhäupter waren eine Bruderschaft hanseatischer Kaufleute aus Bremen und im Mittelalter in Riga zu Hause.

Im Jahre 1510 hätten Kinder im Hause der Bruderschaft eine gefällte Tanne entdeckt, die verfeuert werden sollte. Unbeobachtet von den Eltern begannen die Jungen und Mädchen, den Baum mit Äpfeln und Papierblumen zu schmücken. „Die Schwarzhäupter waren so gerührt, dass sie den geschmückten Baum auf den Rathausplatz stellten und rund um die Tanne Weihnachten feierten“, erzählt Vidvuds Bormanis. Seitdem wurde in allen lettischen Städten zur Weihnachtszeit ein geschmückter Baum aufgestellt. Er blieb bis zum Karneval stehen und wurde später verbrannt.


Seltener Christbaumschmuck aus dem 19. Jahrhundert: Die durchbohrte Glasmurmel hängt heute im Stadtmuseum von Riga. Foto: Johannsmeier

Stolz ist der Historiker auf den seltenen Christbaumschmuck aus dem 19. Jahrhundert: eine durchbohrte Glasmurmel, die heute im Stadtmuseum von Riga zu bewundern ist. Schmunzeln muss Vidvuds Bormanis allerdings, wenn er über den Streit mit Estland spricht: Plötzlich wolle die estnische Hauptstadt Tallinn auch Geburtsort des Weihnachtsbaums sein. Er habe im Internet gelesen, dass es im damaligen Reval schon 1441 einen geschmückten Baum gegeben habe. Aber es fehle ein Dokument, dass das beweist. Möglich wäre das schon, denn beide Staaten gehörten damals zu Livland. „Wir waren ein Land und pflegten gleiche Traditionen. Aber wir haben nun mal als Erste damit geworben. So oder so ist dieser Streit beste Werbung für uns.“

In Riga sieht es ganz so aus, als würde der Weihnachtsmarkt in diesem Jahr einen Besucherrekord erleben. Nicht nur aus dem Ausland, auch aus der lettischen Provinz reisen die Leute in die hanseatische Altstadt. Sie sei stolz darauf, dass Riga Hauptstadt des Weihnachtsbaums sei, sagt eine Frau aus Jelgava. Deshalb werde sie am ersten Weihnachtstag noch einmal mit der ganzen Familie anreisen. „Wir wollen am Baum stehen, wir wollen Lieder singen und seinen 500-jährigen Geburtstag feiern.“


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