Sperrzone statt Stadion
„Ohne Humor wäre mein Job nicht zu ertragen.“ Maxim hat gute Laune und scheint das Gefühl zu haben, sich dafür entschuldigen zu müssen. Es ist ein sonniger Tag am Checkpoint Dytyatky, 30 Kilometer vom ukrainischen Unglückskraftwerk Tschernobyl entfernt. Maxim ist einer der offiziellen Touristenführer, die Besucher durch das nukleare Sperrgebiet begleiten.
„Ich wollte schon immer einmal nach Tschernobyl reisen“, sagt ein bärtiger Schwede, der sich gleich hinter den Busfahrer gesetzt hat. Wenn er nicht gerade auf den Auslöser seiner Spiegelreflexkamera drückt, stellt er Fragen. Maxim gibt sich große Mühe, sie alle zu beantworten. Sobald es aber um technische Details des Reaktorunfalls geht, muss er passen. „Ich bin Guide, kein Physiker.“
Bezahlt werden Maxim und seine Kollegen vom ukrainischen Katastrophenschutzministerium. Das wiederum behält einen Großteil des Geldes ein, das Touristen an lizensierte Reisebüros zahlen, um Tschernobyl besichtigen zu dürfen. Umgerechnet 125 Euro pro Person kostet der ungewöhnliche Tagesausflug.„Für die Zeit der Fußball-EM erwarten wir einen Besucheransturm“, sagt Maxim und steckt sich eine Zigarette an.
Auch Sergej Iwantschuk hofft auf einen gewinnträchtigen Sommer. Der stämmige Blonde ist Inhaber der Agentur „Solo East Travel“, die interessierten Besuchern aus dem Westen unter anderem Fahrten mit alten Sowjetpanzern anbietet, sich aber vor allem auf Tschernobyl-Reisen spezialisiert hat. „Fußballfans, die sich für Geschichte und Technik interessieren, sollten dringend eine Tour bei uns buchen“, wirbt er.
Was der Geschäftsmann Iwantschuk als harmlose Studienfahrt verkauft, ist in den Augen vieler Ukrainer zynischer Katastrophentourismus. Gerade während der EM, so die weit verbreitete Meinung, sollten ausländische Besucher doch lieber die schönen Seiten des Landes kennlernen und nicht die Katastrophen der Vergangenheit bestaunen.
„Es ist ein Skandal, dass mit Tschernobyl heute Geld gemacht wird“, sagt eine Kioskverkäuferin in Kiew, die fast täglich die Abfahrt und Ankunft der Reisegruppen beobachtet. Die ukrainische Regierung hatte die Tschernobyl-Trips 2011 vorrübergehend verboten. Inzwischen sind sie aber wieder erlaubt. Zu verlockend sind wohl die Einnahmemöglichkeiten.
Im Kleinbus ist es inzwischen ruhig geworden. Auf der Fahrt von Kiew zum Checkpoint hatten sich die Touristen noch angeregt unterhalten, jetzt schauen sie stumm aus dem Fenster. Draußen ziehen verlassene Dörfer vorbei, Schilder warnen vor radioaktiver Strahlung. Ein kurzes Erinnerungsfoto am zerstörten Reaktor Nummer 4, immer wieder schlägt jetzt der Geigerzähler Alarm.
In weiten Teilen der Sperrzone ist die Radioaktivität so gering wie außerhalb der Sperrzone. Doch es gibt auch immer wieder so genannte Hotspots, deren Strahlung den Grenzwert zweitausendfach übersteigt. Ängstlich und doch fasziniert schaut die Besuchergruppe auf die Anzeige des Messgeräts. „Solange wir uns nicht zu lange an diesen Stellen aufhalten, ist alles ungefährlich“, beteuert Maxim. Nicht alle wollen ihm glauben.
Der Bus stoppt jetzt in der Geisterstadt Pripjat, eine Art Pompeji des Atomzeitalters. Früher lebten hier einmal 50.000 Menschen, seit jenen Tagen im Frühjahr 1986 sind die Häuser verlassen. Ein Riesenrad, das niemals in Betrieb ging, ist zum traurigen Wahrzeichen geworden. In einer Schule liegen hunderte Kindergasmasken herum, stumme Zeugen eines völlig verfehlten Krisenmanagements. Viel zu spät hatten die sowjetischen Behörden nach der Explosion beschlossen, die Stadt zu evakuieren
Der Bus bringt die Gruppe zurück zum Checkpoint. Nach knapp fünf Stunden ist die Reise durchs Sperrgebiet hier zu Ende. Geht es nach den Plänen der Veranstalter, dann könnten Fußballfans nach einem Tschernobyl-Ausflug noch am selben Abend in Kiew ins Stadion gehen. „Vielleicht gefällt es ihnen ja aber auch so gut bei uns, dass sie für immer hier bleiben wollen“, lacht Tour-Guide Maxim. Wie gesagt: Ohne Humor wäre sein Job nicht zu ertragen.