Albanien

Ohne Visum in die Europäische Union

Fehim Subasic steht vor einem Reisebüro in Sarajevo und sondiert die Angebote. Er will über Silvester nach Budapest fahren, ganz spontan. Vier Tage für nur 350 Euro – „das ist ein Schnäppchen”, freut sich der 34-Jährige. „Früher war mir das alles zu kompliziert. Last-Minute-Reisen in die Europäische Union waren nicht möglich. Man musste umständlich ein Visum beantragen, dann erst konnte man seine Reise buchen. Gut, dass wir das nicht mehr brauchen.”

Ab dem 15. Dezember dürfen die Bosnier und Albaner erstmals in die Europäische Union reisen, ohne vorher ein Visum zu beantragen – mit Ausnahme Irlands und Großbritanniens, die nicht zum Schengen-Raum gehören, reicht jetzt ein Pass für die Einreise. Die Regelung betrifft 4,5 Menschen in Bosnien-Herzegowina sowie die drei Millionen Einwohner Albaniens. Sie dürfen maximal 90 Tage pro Halbjahr, also drei Monate, in der EU bleiben. Statt vor den Antragsstellen der Botschaften Deutschlands und Österreichs stehen jetzt viele Bosnier vor den Antragstellen für Pässe an. Sie wollen einen biometrischen Reisepass mit Fingerabdrücken und Gesichtserkennung erhalten, der Voraussetzung für die Einreise ohne Visum ist.

„Wenigstens verschwindet jetzt die psychologische Blockade in den Köpfen vieler Bosnier, dass man sie nicht in Europa haben will. Wer Geld hat und reisen möchte, kann dies jetzt tun”, sagt die 47-jährige Elvisa Muhanovic, die ebenfalls vor dem Reisebüro steht. „Mich freut es vor allem für die Jugendlichen, die Studenten, die jetzt Europa entdecken können. Dies ist ein großer und wichtiger Schritt für das Land”, fügt die Frau hinzu.

Auch in Albanien ist der 15. Dezember schon jetzt ein historischer Tag. Gerade die albanische Jugend hat sehnsüchtig auf diesen Moment gewartet. Ein junger Mann sagt: „Vor den Botschaften hat man uns wie Tiere behandelt, das ist jetzt endlich vorbei.“ Der albanische Ministerpräsident Sali Berisha sagte, der „größte Traum der Albaner seit dem Fall des Kommunismus und der Berliner Mauer“ werde wahr. Anfang Dezember holte Berisha die Popsängerin Rihanna nach Tirana, um nicht nur das Ende des Kommunismus vor 20 Jahren, sondern auch die errungene Visa-Freiheit zu feiern. Auch Reiseveranstalter und Handyfirmen werben mit der neuen Freiheit. Ein Mobilfunkanbieter wirbt mit dem Slogan: „Ohne Visa ist Europa jetzt nur eine SMS weit entfernt“.

Derweil wachsen in einigen EU-Ländern Ängste, dass einige Bosnier und Albaner die neue Reisefreiheit missbrauchen und länger als die erlaubten 90 Tage pro Halbjahr im Schengenraum bleiben könnten. Schon im Oktober mahnte die Beauftragte des EU-Parlaments für die Visaliberalisierung, Tanja Fajon,  die Albaner sollten nicht die Fehler der Serben und Mazedonier wiederholen und unmittelbar nach der Liberalisierung Asylanträge in der EU stellen. Für diese Länder hatte die EU bereits vor einem Jahr die Grenzen geöffnet. Deutschland, Frankreich und andere EU-Staaten klagten daraufhin über eine Flut von Asylanträgen, mit denen Serben und Mazedonier ihr Bleiberecht verlängern wollten. Doch dieses Mal hat Deutschland mit seinen Partnern einen Vorbehalt durchgesetzt: Die Visa-Freiheit kann bei Missbrauch wieder aufgehoben werden.

Damit es mit der neuen Reisefreiheit nicht schnell wieder vorbei ist, hat die bosnische Regierung eine Informationskampagne gestartet. Sicherheitsminister Sadik Ahmetović warnt die Bürger davor, die neue Regelung zu missbrauchen. „Die Bürger haben kein Recht auf eine Arbeitsaufnahme in den Schengen-Staaten. In der EU gestellte Asylanträge haben keine Erfolgsaussichten“, betont der Minister bei jeder Gelegenheit. Das bosnische Sicherheitsministerium lässt zudem auf den Passantragsstellen Broschüren verteilen, die über das Thema informieren.

„Die Bosnier werden es nicht riskieren, ihr endlich erreichtes Ziel durch aussichtslose Asylanträge zu torpedieren. Wir wollen keine Belastung für Europa sein, sondern nur reisen“, sagt die 23-jährige Daliborka Babic. Die Soziologiestudentin wird über Weihnachten ihren deutschen Freund in Mannheim besuchen.

Anders als in Bosnien hält sich in Albanien das Reisefieber in Grenzen. Zwar bieten die Veranstalter auch hier Kurztrips nach Wien und Brüssel an. Doch bei Preisen um die 800 Euro sind solche Angebote für die meisten Albaner eine Utopie. Außerdem überschattet eine Flutkatastrophe im Norden des Landes die neu gewonnene Freiheit. Viele Albaner, die in Italien, Griechenland und Großbritannien ihr Geld verdienen, bereiten sich zudem gerade auf ihre Heimreise vor, um die Feiertage mit ihrer Familie zu verbringen.


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