Journalistentod gibt weiter Rätsel auf
Belarus gilt weithin als die letzte Diktatur in Europa. Im Vorfeld der Präsidentenwahlen am 19. Dezember kämpft der autokratische Präsident Alexander Lukaschenko um ein besseres Image. Untersuchungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Todesfall eines regimekritischen Journalisten dürften deshalb bei Lukaschenko für Erleichterung gesorgt haben, nachdem er in den vergangenen Monaten arg in die internationale Schusslinie geraten war. Regimegegner dagegen kritisieren unzureichende Untersuchungen der OSZE.
Der regimekritische Journalist Oleg Bebenin war Anfang September erhängt in seinem Wochenendhaus aufgefunden worden. Sein Tod gab von Anfang an Rätsel auf, Freunde glaubten nicht an Suizid, sondern an Mord. Die OSZE geht nun davon aus, dass Bebenin tatsächlich Selbstmord begangen hat. „Auf der Grundlage des Materials und der Informationen, die uns zur Verfügung gestanden haben, lautet die Ursache des Todes: Selbstmord durch Erhängen“, heißt es in einer offiziellen Erklärung. Es gebe keinen Grund anzunehmen, dass Bebenin ermordet worden sei.
Skandinavische Kriminologen und Gerichtsmediziner der OSZE hatten auf Anfrage der belarussischen Regierung vom September in der Hauptstadt Minsk Spuren und Materialien untersucht, die am Ort, an dem man die Leiche entdeckt hatte, gesichert worden waren. Die Fachleute hatten allerdings keine neuen Ermittlungen unternommen. Ein Sprecher der OSZE wiederholte auf Nachfrage, ob die Organisation denn mit diesem Ergebnis zufrieden sei, nur Teile der Presseinformation. Letztlich hat die Untersuchung der OSZE mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, Menschenrechtler glauben an eine Manipulation der Spuren, die man am Todesort von Bebenin vorgefunden hat. Für den Chef der belarussischen Menschenrechtsorganisation Belarusian Helsinki Committee (BHC), Harry Pahaniajla, ist klar: „Man konnte kein anderes Ergebnis der OSZE erwarten, weil die Experten keine eigenen Untersuchungen durchgeführt haben.” Der Jurist fügt hinzu: „Lukaschenko will nur die eigene Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft beruhigen.”
Bebenin gehörte zu den wichtigsten Regimegegnern und war der Gründer des Portals „Charter 97“, dessen treibender Kopf heute der oppositionelle Präsidentschafts-Kandidat Andrej Sannikow ist. Als man Bebenin stranguliert auffand, befanden sich bei ihm zwei leere Flaschen mit hartem Alkohol und ein leeres Schnapsglas. Es gab keinen Abschiedsbrief. Seine Kollegen und Freunde hatten immer wieder betont, dass er sich nie hätte umbringen wollen.
Vor den Wahlen am 19. Dezember steht Lukaschenko zuhause massiv unter Druck, weil er zunehmend die Unterstützung in der Bevölkerung verliert. Finanziell ist das Land angeschlagen und international isoliert. Die OSZE-Untersuchung lässt Lukaschenko wieder besser dastehen, weil gerade dieser Fall europaweit für Aufregung gesorgt hatte. Das OSZE-Ergebnis fand in den internationalen Medien sofort Beachtung: „Belarussischer Journalist beging Selbstmord“, titelte der staatliche polnische Fernsehsender TVP1 auf seiner Website. Da viele Belarussen im polnischen Exil leben, findet dort eine kritische Berichterstattung über Belarus statt. Der polnische Staat finanziert das TV-Programm „Bielsat“, das in belarussischer Sprache Nachrichten in das Nachbarland sendet.
Darüber hinaus publizierte „Radio Free Europe“ die Ergebnisse der OSZE-Experten als Top-News. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG), die weltweit die Rechte von Journalisten verteidigt, hielt sich diesmal mit einem Statement zurück und wollte zunächst eine eigene Prüfung des Falls unternehmen.
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