Ungarisches Trauma-Spiel
Róbert Alföldi, den Direktor des ungarischen Nationaltheaters, könnte dieser Skandal den Job kosten. Der 43-jährige Schauspieler und Regisseur hatte es für unproblematisch gehalten, der rumänischen Botschaft in Budapest den Saal des imposanten Gebäudes am Donau-Ufer für einen Abend zu vermieten. Dort wollten die Diplomaten aus dem Nachbarland anlässlich des rumänischen Nationalfeiertags am 1. Dezember ein klassisches Konzert und einen Empfang für rund 1.000 Gäste organisieren. Werke der berühmtesten Komponisten aus beiden Ländern standen auf dem Programm.
„Tiefes Trauma für die Mehrheit der ungarischen Nation“
Doch Ungarns neue konservative Regierungspartei Fidesz teilte Alföldis Ansicht nicht. Denn am 1. Dezember feiert Rumänien die Vereinigung mit Siebenbürgen, einem Gebiet, das vor 1918 Ungarn gehörte. „Der Verlust Siebenbürgens ist bis heute ein tiefes Trauma für die Mehrheit der ungarischen Nation“, ließen die Fidesz-Parlamentarier verkünden. Der Theaterdirektor könne den Ernst der Angelegenheit nicht einschätzen, hieß es aus den Reihen der christdemokratischen Fraktion, die eine sofortige Untersuchung forderte. Die rechtsradikale Partei Jobbik sprach von „Verrat“, nannte Alföldis Geste „antiungarische Provokation“ und kündigte an, am 1. Dezember vor dem Nationaltheater demonstrieren zu wollen.
Entschuldigungsbrief vom Direktor
In dieser Woche Alföldi der politische und mediale Druck zu stark. In einem Schreiben an die rumänische Botschaft zog er die Erlaubnis für die geplante Veranstaltung kurzerhand zurück. „Es war meine feste Überzeugung, dass sich ungarische und rumänische Bürger nach einer stürmischen Geschichte durch Kunst und Kultur annähern können“, heißt es in dem Brief. „Leider habe ich die Bedeutung meiner Entscheidung unterschätzt. Diese könnte die Gefühle meiner Landsleute verletzen“, entschuldigt sich der Theaterdirektor.
Rumänien äußert Bedauern
Die Botschaft hatte die Einladungen schon verschickt, berichtet Mitarbeiterin Mihaela Pop. Auf der Gästeliste standen Vertreter der ungarischen Regierung und der örtlichen Behörden, die rumänische Gemeinschaft in Budapest, Diplomaten aus Drittländern und einfache ungarische Bürger, die sich für Rumänien und seine Kultur interessieren. „Unsere Veranstaltungen anlässlich des Nationalfeiertags haben jedes Jahr in angesehenen und repräsentativen Kultureinrichtungen stattgefunden: in Budapests großen Theatern, Museen oder Kinos“, sagt Pop. Tatsächlich hatten sich die Beziehungen zwischen den zwei Ländern in den letzten Jahren deutlich verbessert. Der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Ungarns, Péter Medgyessy, hatte 2002 seinen rumänischen Amtskollegen Adrian Nastase nach Budapest eingeladen, um den 1. Dezember zusammen zu feiern.
Am Donnerstag teilte das Außenministerium in Bukarest mit, die Suche nach einem alternativen Veranstaltungsort habe schon begonnen. „Die Situation stellt für uns eine bedauerliche Ausnahme dar“, schreiben die Diplomaten. Auch der rumänische Vizepremier Béla Markó, der gleichzeitig Chef der Partei der ungarischen Minderheit ist, bedauert den Zwischenfall: „Leider sind die Überempfindlichkeiten zwischen uns noch nicht verschwunden, obwohl sie längst Geschichte sein sollten.“