Vorreiter im Kampf gegen Cyber-Attacken
Pünktlich treten die Rekruten im Stabsbatallion von Tallinn zum Morgenappell an. Während die Soldaten auf dem Exerzierplatz lernen, konventionelle Waffen anzulegen, tüfteln IT-Experten in der restaurierten Kaserne gegenüber an ihren Rechnern. Sie erforschen Strategien, um sich gegen Angriffe aus dem Netz zu schützen. Vor vier Jahren nahm dieses einzigartige „Zentrum für elektronische Verteidigung“ der Nato in der estnischen Hauptstadt Tallinn seine Arbeit auf. Ein cleverer Schachzug, um das kleine Estland im Fokus der großen Nato-Staaten zu halten, freut sich Johannes Kert.
Johannes Kert ist Berater im estnischen Verteidigungsministerium und hat die Idee bereits vor acht Jahren entwickelt, als er noch im Nato-Hauptquartier in Brüssel arbeitete. Estland, meint er, sei ein winziger Staat, der im Nordatlantischen Bündnis leicht an den Rand gedrängt werden könnte. Deshalb sei er auf der Suche nach einer Nische gewesen, in der Estland für die Nato unentbehrlich sein würde. „Nach dem Nato-Gipfel 2002 in Prag hat die Allianz ein klares Mandat zur Cyber-Abwehr erteilt“, sagt er.
Johannes Kert hat Attacken aus dem Internet den Kampf angesagt. / Birgit Johannsmeier, n-ost
Das war wie für Estland gemacht. Denn nach seinem Austritt aus der ehemaligen Sowjetunion hat das Land es wie kaum ein anderes geschafft, Informationstechnologien zu entwickeln: von der papierlosen Kabinettssitzung via Internet, über Internet-Banking zum Parkgroschenzahlen per Mobiltelefon. Doch bald wurden die Nachteile der neuen Technologien sichtbar. Wer sich im weltweiten Netz tummelt, der ist auch angreifbar. Zu Beginn habe man die Verbreitung von Computerviren und die Angriffe von Hackern auf die Server öffentlicher Einrichtungen nur als mutwillige Zerstörungswut abgetan, erklärt Johannes Kert. Mittlerweile seien die Attacken aus dem Internet allerdings auch politisch motiviert. Diese Erfahrung hat Estland im Frühjahr 2007 gemacht. Damals wurde das Land von Cyber-Kriminellen attackiert, die drei Wochen lang die Server von Banken, Ministerien und Sicherheitsbehörden lahm legten.
Wer hinter der Attacke steckte, ist bis heute nicht geklärt. Der Verdacht fällt auf Moskau, denn damals hatte die estnische Regierung unter lautstarkem Protest ihrer russischen Einwohner über Nacht ein sowjetisches Kriegerdenkmal, den so genannten „Bronzesoldaten“, verlegt. Als kurz darauf die estnische Botschaft in Moskau von Demonstranten blockiert wurde, erlebten estnische Banken und Ministerien in Tallinn zeitgleich Angriffe aus dem Netz. „Diese richteten sich später auch gegen Litauen, nachdem das litauische Parlament kommunistische Symbole verboten hatte “, erinnert sich Johannes Kert.
Aber auch andere Länder sind bereits Opfer von Cyber-Attacken geworden, beispielsweise Georgien im Sommer 2008, als Russland in der georgischen Teilrepublik Südossetien einmarschierte. „Vor und nach der Pressekonferenz des russischen Außenministers Sergej Lawrow war keine einzige georgische Website im Internet in der Lage, Nachrichten zu übermitteln. Die Georgier konnten sich nur einseitig über russische Seiten informieren“, sagt Johannes Kert.
Es sei Teil des Spiels, dass man nicht nachweisen könne, woher die Angriffe kämen, erklärt der Experte. Der estnische Außenminister Jaak Aaviksoo jedoch meint, es gehe um alte Machtansprüche, die Moskau in den ehemaligen Sowjetrepubliken erhebe. Leider werde dieses imperiale Denken von einer breiten Öffentlichkeit in Russland unterstützt, die dann als potentielle Hacker Angriffe im Internet starteten.
Aus dem Befehlsbatallion von Tallinn verteidigt sich die Nato gegen Attacken aus dem Internet. / Birgit Johannsmeier, n-ost
Genau hier setzt auch das „Nato-Zentrum für elektronische Verteidigung“ in Tallinn an. Es bietet Seminare und Tagungen für alle Nato-Staaten an. Eine bedeutende Rolle spiele dabei eine gemeinsame Sprache, meint Johannes Kert. Deshalb sei ein Wörterbuch zur „virtuellen Kriegsführung im Netz“ in Arbeit. Die Nato habe vor allem Angst vor einer Kettenreaktion. „Eine Cyberattacke kann unsere gesamte Infrastruktur zerstören“, so Kert. „Werden Banken lahm gelegt, wird die Wirtschaft beeinflusst, die Finanzwelt und vielleicht sogar unsere konventionelle Verteidigung. Ein Krieg im Netz brächte letztlich auch unser Leben in Gefahr.“