Ein teuer bezahlter Frieden
Er hat eine der wenigen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten von Bosnien und Herzegowina geschrieben – doch Nihad Imamovic gibt sich bescheiden. Er empfängt seine Besucher in einem nüchternen Zweckbau im hässlichen Gewerbegebiet des bosnischen 17.000-Einwohner-Städtchens Visoko. Dort logiert die ASA Holding, Herstellerin von Autositzbezügen, die Imamovic 1996 gegründet hat. Heute zählt der Automobilzulieferer mit 3.500 Mitarbeitern zu den fünf größten Arbeitgebern des Landes.
Doch nur wenige Bosnier werden wie Imamovic zu erfolgreichen Investoren – das Wirtschaftsklima ist alles andere als günstig für derartige Karrieren. Allein durch die völlig verzerrte Lohnstruktur des Landes wird die Suche nach qualifiziertem Personal erheblich erschwert.
Imamovic zahlt seinen Arbeitern zwar durchschnittlich 300 Euro im Monat und damit deutlich mehr als jene 260 Euro, die man in der freien Wirtschaft üblicherweise verdient. Ganz andere Perspektiven indes haben jene, die es in den mittleren Dienst der aufgeblähten Staatsverwaltung schaffen. Sie verdienen im Durchschnitt 600 Euro.
Doch nicht nur diese Schieflage trägt dazu bei, dass das Land auch 15 Jahre nach dem Krieg wirtschaftlich noch immer nicht richtig in Schwung kommt. Das Dayton-Abkommen von 1995 beendete zwar einen Krieg mit Tausenden auch zivilen Todesopfern, doch es bescherte dem Land zugleich eine teure ethnische Aufteilung. Die autonomen Regionen „Republika Srpska“ und „Bosniakisch-Kroatische Föderation“ agieren weitgehend unabhängig voneinander. Die Folge: Es gibt heute drei Präsidenten, 14 Parlamente und 180 Ministerien auf bundesstaatlicher und regionaler Ebene – unbezahlbar für ein Vier-Millionen-Volk.
Die aufgeblähte Verwaltung ist nicht nur unangemessen teuer, sondern auch höchst ineffizient. Denn um das Gleichgewicht der Macht zwischen Kroaten (Katholiken), Bosniaken (Muslimen) und Serben (Orthodoxen) zu garantieren, werden Regierungsposten vordringlich nach ethnischer Zugehörigkeit verteilt – fachliche Qualifikation ist zweitrangig. Diese Form der Ämtervergabe bereitet den Boden für ein weiteres Übel: die staatliche Korruption.
Wie schädlich die Bestechlichkeit und der ausufernde Staat für die Wirtschaftsleistung sind, lässt sich an den Zahlen ablesen. Kam Bosnien 2009 auf ein Bruttoinlandsprodukt von 3.200 Euro pro Kopf, so lag dieser Wert im Nachbarland Kroatien bei 10.100 Euro. Dass Bosnien drei Mal ärmer als Kroatien sein könnte, bezweifelt aber sogar der Ökonom Josef Pöschl vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, der diese Daten ermittelte: Allein die Autos in den Straßen wiesen auf einen größeren Wohlstand hin, als es diese Zahlen ausdrückten, sagt der Ökonom.
Und tatsächlich: Die großen Städte Sarajevo, Banja Luka oder Mostar wirken mit ihren vielen Straßencafés und modernen Einkaufszentren recht gut situiert. Dieser relative Wohlstand wird allerdings anderswo verdient – tausende Kilometer weit entfernt, zum Beispiel in Deutschland oder in Großbritannien. Dank der vielen Gastarbeiter, die das Land in den siebziger Jahren verließen, und der später folgenden Kriegsflüchtlinge sind Überweisungen aus dem Ausland in Bosnien ein tragender Pfeiler der Volkswirtschaft geworden. Erst sie ermöglichen den einigermaßen akzeptablen Lebensstandard und die vielen kleinen Geschäfte der Schattenwirtschaft. Mit etwa 15 Prozent des Sozialprodukts besitzen Geldsendungen ein Gewicht, wie es sonst in Europa höchstens noch in Mazedonien oder Albanien der Fall ist.