Slowakei

"Gorilla statt Europa"

Vor den vorgezogenen Parlamentswahlen in der Slowakei am 10. März steht der Wahlkampf längst nicht mehr im Zeichen von Euro und Finanzkrise. Einziges Thema ist „Gorilla“: Die „Causa Gorilla“, eine massive Korruptionsaffäre, hat das Land aufgerüttelt. Zehntausende gehen seit Dezember auf die Straße, es sind die größten Proteste seit 1989. Doch viele Slowaken haben das Vertrauen in die politischen Parteien verloren und wollen am Wahltag zuhause bleiben.

Eigentlich hätten europäische Themen diesen Wahlkampf in der Slowakei dominieren sollen – die Euro-Schuldenkrise und, ganz generell, die slowakische Rolle in der EU. Genau an diesen Fragen war Regierungschefin Iveta Radicova mit ihrer Mitte-Rechts-Koalition im Oktober gescheitert, als sie die Parlamentsabstimmung über den Euro-Rettungsschirm an die Vertrauensfrage knüpfte.

Doch die vorgezogenen Neuwahlen am 10. März stehen nicht im Zeichen von Europa, sondern von „Gorilla“– einem massiven Korruptionsskandal aus den Jahren 2005/06. Die Affäre, die in die letzten Jahre der Regierungszeit von Mikulas Dzurinda fällt, des heutigen christdemokratischen Außenministers, wurde um Weihnachten 2011 bekannt und löste ein regelrechtes gesellschaftspolitisches Erdbeben in der Slowakei aus. Zehntausende Slowaken gingen in den letzten Wochen auf die Straßen. Es sind die größten Demonstrationen seit 1989.

„Natürlich gab es hier auch vorher schon ständig irgendwelche Korruptionsaffären“, erklärt der Journalist Martin Simecka von der investigativen tschechischen Zeitschrift „Respekt“. „Aber noch nie zuvor konnten die Bürger derartig detaillierte Einblicke gewinnen. Die Akte „Gorilla“ ist wie ein Handbuch für die allgegenwärtige Korruption im Land.“

Anhand von minutiös geführten Abhörprotokollen des Geheimdienstes wird in der Akte dokumentiert, wie sich die Regierung skrupellos bestechen ließ und etwa den Verlauf von Privatisierungen im Voraus mit Finanzmanagern ausklüngelte – während sie den Bürgern harte Sparmaßnahmen verordnete. Nahezu alle politischen Parteien waren in die Affäre verstrickt. Die Ermittlungen laufen.

Für viele Slowaken ist die „Causa Gorilla“ zum Symbol geworden – „für die Arroganz der gesamten politischen Elite und für die Machtlosigkeit der Bürger“, sagt die 26jährige Lucia Gallova, Hauptorganisatorin der Proteste. Während sie in jugendlichem Revolutionseifer von einer Verschiebung der Wahlen, direkter Demokratie und einer neuen Gesellschaftsordnung träumt, sind andere enttäuscht von der Konzeptlosigkeit der Proteste. „Guter Wille und soziale Netzwerke alleine reichen eben nicht aus für eine Revolution“, kommentierte etwa die Zeitung „Sme“.

Viele Wähler hat die „Gorilla“-Affäre indes in ihrer Politikverdrossenheit bestärkt. „Die Abscheu gegen die Politik sitzt nach 20 Jahren Demokratie so tief, dass selbst diejenigen, die in diesem demokratischen System aufgewachsen sind, Politik als etwas Abstoßendes empfinden.“, bedauert Martin Simecka.

Wählen oder nicht Wählen? Diese Frage treibt in diesen Tagen viele Slowaken um – Schätzungen zufolge könnte die Wahlbeteiligung auf ein Rekordtief zwischen 45 und 50 Prozent sinken. Ein Drittel derjenigen, die an die Urnen gehen wollen, ist noch unentschlossen, wem sie letztlich ihre Stimme geben.

Aktuellen Umfragen zufolge droht der christdemokratischen SDKU von Mikulas Dzurinda, der in der „Gorilla“-Akte am meisten belastet wird, eine Erdrutsch-Niederlage, möglicherweise sogar das Ausscheiden aus dem Parlament.

Klarer Wahlsieger werden aller Voraussicht nach die Sozialdemokraten des Linkspopulisten Robert Fico werden. Möglicherweise kann Fico als neuer Ministerpräsident sogar mit einer Verfassungsmehrheit rechnen. Damit hätte die Slowakei zwar eine stabile Regierung, aber es wäre auch das Ende des pro-europäischen, wirtschaftsliberalen Kurses, wie ihn die Regierung Radicova und zuvor Dzurinda gefahren haben.

Fico hatte bereits in seiner ersten Amtszeit von 2006 bis 2010 die progressiven Wirtschaftsreformen der Vorgänger-Regierung Dzurinda zum Teil rückgängig gemacht. Außerdem war er heftig in die Kritik geraten, weil er die nationalistische Slowakische Nationalpartei (SNS) von Jan Slota als Koalitionspartner ins Boot geholt hatte.

Egal, wie die Wahl letztlich ausgeht – die slowakische Zivilgesellschaft gehe aus der „Gorilla“-Affäre jedenfalls gestärkt hervor, meint der Politologe Samuel Abraham: „Viele Jahre lang haben sich die Slowaken apathisch verhalten. Der Zorn, der jetzt zum Ausbruch gekommen ist, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Die Menschen schlucken ihre Wut nicht mehr runter – und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder protestieren gehen.“

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