Polen

Eiszeit in den Beziehungen

Polens Außenminister Radoslaw Sikorski ist sichtlich wütend. Gefragt nach dem Verhältnis seines Landes zum nordöstlichen Nachbarn Litauen entgegnet er knapp: "Wir haben schon seit vielen Jahren einen ganzen Katalog ungelöster Probleme. Wir hätten gerne bessere Beziehungen."

Die Retourkutsche aus der litauischen Hauptstadt Vilnius lässt nicht lange auf sich warten: "Ich wundere mich, wie bestimmte polnische Politiker bewusst die Atmosphäre in den bilateralen Beziehungen vergiften und unbegründete Vorwürfe gegen die litauische Seite erheben", erklärt kurze Zeit später der litauische Premierminister Kubilius im litauischen Rundfunk.

Kein Zweifel, die Stimmung ist angespannt wie seit langem nicht mehr. Polen und Litauen sind seit Jahrhunderten Nachbarn, Partner und Rivalen zugleich. Im Mittelalter bildeten beide Länder gemeinsam ein Großreich und teilen seither viele historische und kulturelle Gemeinsamkeiten, knapp sieben Prozent der Bewohner Litauens sind bis heute ethnische Polen. Unvergessen ist in Litauen aber auch, dass die Region Vilnius zwischen den Kriegen von Polen besetzt war. Heute sind beide Länder Mitglieder in EU und NATO und damit institutionell eng verbunden – umso ungewöhnlicher ist daher, dass inzwischen Worte mit einer Schärfe fallen, wie man sie in Mitteleuropa sonst nur von Streithähnen wie Ungarn und der Slowakei kennt.

Der Aufhänger ist vordergründig die Schreibung von Namen der Angehörigen der polnischen Minderheit in Litauen: Per Gesetz werden diese in Dokumenten an die litauischen Schreibgewohnheiten angepasst. So wird der Buchstabe w in v geändert, cz in č oder sz in š, außerdem erhalten die Namen litauische Endungen. Aus einem Janusz Wojciechowski wird dann ein Janušas Vojciechovskis. Vor allem der Kampf um den Buchstaben w hat inzwischen in Litauen fast schon Symbolcharakter bekommen. Aber geht es wirklich nur um ein paar Buchstaben?

Der litauische Premierminister Kubilius weist den Vorwurf der Diskriminierung weit von sich: "Die Situation der Polen in Litauen hat sich in den letzten Jahren immer weiter verbessert. Sie haben hervorragende Ausbildungsmöglichkeiten, und es geht ihnen bei uns deutlich besser als in anderen Ländern, in denen Polen leben – nicht zuletzt im Vergleich mit den in Polen lebenden Litauern", schimpft der Regierungschef – und lässt gleich noch eine Attacke folgen: "Auch die Vorwürfe sind unbegründet, wir hätten uns nicht genug um die Investitionsbedingungen für Orlen gekümmert."

Darin dürfte denn auch der eigentliche Grund für die aktuelle Eskalation des Streits liegen. 2006 erwarb der polnische Ölkonzern Orlen die litauische Raffinerie Mazeikiu nafta aus der Konkursmasse der russischen Yukos, doch schon kurze Zeit später sperrte Russland die Versorgungspipeline. Seither sitzt das Unternehmen buchstäblich auf dem Trockenen und muss per Eisenbahn oder durch das an der Ostsee gelegene Terminal Butinge beliefert werden. Eine Lösung wäre für Orlen ein Erwerb des vom litauischen Staat kontrollierten Terminals im Seehafen Klaipeda und der Bau einer neuen Pipeline, doch hier schaltet die Regierung in Vilnius seit Monaten auf stur. Orlen droht daher mit einem Verkauf der Raffinerie – die Interessenten sind vor allem russische Unternehmen.

Auch andere wichtige Projekte kommen nicht vom Fleck. Seit der Schließung des Atomkraftwerks Ignalina ist Strom in Litauen knapp und teuer, doch der gemeinsame Bau eines neuen Kraftwerks macht keine Fortschritte, und noch immer gibt es keine Leitung von Litauen nach Polen, durch die Strom aus Mitteleuropa bezogen werden könnte. Von Berlin nach Warschau legen Intercitys die knapp 600 Kilometer lange Strecke mehrmals am Tag in gut fünf Stunden zurück, über die litauische Grenze schleicht im Schneckentempo bestenfalls ein Zug pro Tag. In Litauen sieht man sich von Polen ins Abseits manövriert. "Polen blockiert uns und verkauft uns an Russland", lautet das bittere Fazit – nicht zuletzt, seit sich die Regierung in Warschau wieder um bessere Beziehungen zu Moskau bemüht. Gerade darum will man sich in Litauen von Polen nichts vorschreiben lassen – auch und gerade nicht die Verwendung des Buchstaben w.


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