Slowakei

Hausarrest und Chipkarten für Roma

Die neue slowakische Regierungschefin, Iveta Radicova, startete vor gut 100 Tagen ambitioniert ins Amt: Sie wollte die Slowakei zu einem Tigerstaat in Europa machen, statt billigem Nationalismus predigte sie eine Stärkung der Bürgergesellschaft. Für das Kabinett der 53-Jährigen steht nun aber zunächst die Haushaltskonsolidierung im Mittelpunkt. Sparen will die Regierung vor allem bei den Sozialhilfeempfängern - und damit vor allem bei den 500.000 Roma, die die größte Minderheit des Landes darstellen. UNO-Schätzungen zufolge sind von ihnen rund 70 Prozent auf Sozialhilfe angewiesen.

Vor kurzem stellte Lucia Nicholsonova, Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit, Familie und Soziales eine sogenannte E-Pay-Karte vor. Demnach solle die Sozialhilfe künftig nicht mehr in bar ausgezahlt, sondern nur noch über eine Chipkarte ausgegeben werden können. „Das Geld wird auf alle Arbeitstage im Monat verteilt. Nach der Bezahlung von Rechnungen für Strom, Gas und Wasser wird der Rest als Tagesgeld vom Konto freigegeben“, so der Vorschlag der 33jährigen Staatssekretärin, die vorher als Reporterin für das Privatfernsehen TA3 arbeitete. „Ich weiß nicht genau, wie viel Geld für eine Familie täglich zur Verfügung stehen wird. Möglicherweise könnten es drei Euro sein“, schätzt Nicholsonova.

Die slowakische Regierung will mit dem E-Pay-Kartensystem dem Missbrauch von Sozialleistungen vorbeugen. So darf auf der Karte ein spezielles Tageslimit nicht überschritten werden. In Dolny Kubin verteilt die Kommune schon länger Gutscheine und nun auch Chipkarten an Bedürftige. Hier mussten sich die Sozialhilfeempfänger damit einverstanden erklären, dass sie vom Staat kein Bargeld mehr bekommen. Sie erhalten nun die E-Pay-Karte. Der Kommentator der slowakischen Zeitschrift „Tyzden“, Martin Droppa, scherzt: „Warum führen wir kein solches System für die breite Bevölkerung ein - die E-Pay-Baby-Karten für alle Bezieher des Kindergeldes und die E-Pay-Seniorenkarten für die Rentner?“

Klar ist aber, dass die E-Pay-Karte vor allem für Roma gedacht ist, die den höchsten Anteil der Langzeitarbeitslosen ausmachen. Laut TV- Umfragen befürworten einige Slowaken die Einführung eines solchen Systems für Roma und arbeiten damit der slowakischen Koalitionspartei SaS, die mit dem E-Pay-Karten vorgeschlagen hat, in die Hände. Auch die an der Regierung beteiligten Christdemokraten sind mit E-Pay-Karten einverstanden. Roma-Aktivisten befürchten, dass Misstrauen die Kluft zwischen E-Pay-Karten-Beziehern und Nicht-Roma-Bürgern vergrößern könnte. „Wenn die Chipkarten nur für diejenigen mehrköpfigen Familien eingeführt werden würden, die die Sozialhilfe missbrauchen, wären wir dafür. Wenn aber die Karten für alle Sozialhilfeempfänger aus Roma-Reihen gedacht sind, fragen wir uns: Wer kommt nach welchen Kriterien in dieses flächendeckende System und gilt damit als sozial ausgesondert?“, kritisiert Marian Ikri, Vorsitzender des Vereins Univerzus, der sich für die Rechte der Roma einsetzt.

Noch absurder erscheinen Roma-Vertretern die Vorschläge der Staatssekretärin bezüglich der Gewährleistung der Schulpflicht. „Der Staat sollte aufhören, den Kindern die Eltern zu ersetzen“, meint Nicholsonova. „Sozialarbeiter reißen die Kinder aus der Familienumgebung und stecken sie ins Heim. Wir könnten hier über die Einführung alternativer Strafen wie Hausarrest nachdenken“. Wie sich das die junge Politikerin genau vorstellt, ist unklar. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass Roma-Eltern die Nichteinhaltung der Schulpflicht bei ihren Kindern kontrollieren.

Die vorherige slowakische Regierung verfolgte einen gegenteiligen Kurs und plante für Roma-Kinder ein System von Internatsschulen, um in ihr Leben ein geordnetes Bildungs-und Wertesystem einzuführen. Das Internatsmodell lehnt Nicholsonova aber ab - vielleicht auch deshalb, weil es den slowakischen Staat Geld kosten würde.

Über solche Vorschläge können die Nachbarn der 6000-köpfigen Roma-Siedlung Lunik IX in der zweitgrößten slowakischen Stadt Kosice, nur lachen. Der Blogger Kamil Husar schreibt dazu: „Nicholsonova sollte den Bewohnern von Kosice endlich die Wahrheit sagen. Sie weiß nämlich nicht, was sie mit Lunik IX machen soll.“ Die Roma-Siedlung machte Anfang Oktober Schlagzeilen, als Roma  eine Stromleitung angezapft und dadurch beschädigt hatten. Durch die geplanten E-Pay-Karten könnte vielen Roma die Stromversorgung gesichert werden, da die Stromkosten zu Monatsbeginn automatisch abgebucht werden würden.


Weitere Artikel