Ukraine

Resignation vor Regionalwahlen

An der Wand des Ausstellungsraums der Mohyla-Akademie in Kiew hängt ein bemalter Teller, auf dem ein Polizist einem jungen Mann mit einem dicken Buch auf den Kopf schlägt. Es ist nur ein Kunstwerk von vielen in dem weitläufigen, weißen Saal einer der ältesten Universitäten der Ukraine. Aber die martialische Kraft der Faust lässt jeden Beobachter zusammenzucken. „Die Beamten nennen das zynisch einen Kommentar zum nationalen Gesetzbuch“, sagt Iwan Schmatko, Jurastudent in Kiew und Aktivist der unabhängigen, landesweiten Studenten-Gewerkschaft Prjamoje Dejstwije, was so viel wie „direkte Handlung“ heißt.

Der Wandteller ist Teil einer Aktionsreihe, die sich mit zunehmender Polizeigewalt gegen Künstler und Demonstranten auseinandersetzt. Der 22-jährige Schmatko betrachtet das Erstarken der Staatsmacht mit Sorge. „Die Regierung Janukowitsch hat zwar ähnliche Vorstellungen wie ihr Vorgänger. Sie setzt sie aber wesentlich resoluter durch“, sagt er.

Seit der Wahl des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zum Präsidenten der Ukraine zu Beginn des Jahres hat seine Partei der Regionen die Macht immer fester an sich gerissen – und macht die Fortschritte der Orangenen Revolution von 2004 wieder rückgängig. So hob Anfang Oktober das ukrainische Verfassungsgericht einen Artikel aus dem Jahr 2005 wieder auf, demzufolge der Präsident Teile seiner Macht ans Parlament abtreten musste. Zuvor hatte das ukrainische Parlament das Kommunalwahlgesetz geändert. Sowohl die zentrale Wahlkommission als auch die regionalen Gremien sind nun mehrheitlich in den Händen der Regierenden. „Die neuen Regelungen öffnen der Wahlmanipulation Tür und Tor“, sagt Inna Vedernikova. Die Journalistin der Wochenzeitung Zerkalo Nedeli beobachtet, wie Janukowitschs Partei Schritt für Schritt alle staatlichen Ebenen unter ihre Kontrolle bringt.

Doch anders als vor sechs Jahren, als hunderttausende Ukrainer gegen Korruption und gefälschte Wahlergebnisse auf die Straße gingen, halten sie jetzt still. Zu groß ist ihre Politikverdrossenheit. Denn viele Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lage durch den umjubelten Umsturz im Jahr 2004 haben sich nicht erfüllt. Vor allem der Justizapparat ist noch genauso korrupt wie zuvor.

Die Kommentatoren räumen Janukowitschs Partei der Regionen bei den Regionalwahlen am 31. Oktober beste Chancen ein, obwohl nach Umfragen fast 60 Prozent der Bevölkerung davon ausgehen, dass die Wahlen manipuliert werden könnten. „Die Politikverdrossenheit führt zu Apathie“, sagt die Journalistin Vedernikova. Zudem fehlen der Opposition die Leitfiguren. Die bekannteste von ihnen, Julia Timoschenko, hat vor allem mit Fraktionsaustritten eigener Parteimitglieder und Korruptionsvorwürfen zu kämpfen.

Für zunehmend gelenkte Verhältnisse spricht auch das vor wenigen Tagen veröffentlichte Ranking der Organisation Reporter ohne Grenzen. Als größter Absteiger weltweit fiel die Ukraine von Platz 89 auf 131 zurück, vor allem der Fall des spurlos verschwundenen Chefredakteurs Wasily Klementjew von der Wochenzeitung Novy Styl fiel negativ ins Gewicht. Klementjew recherchierte zu Korruptionsthemen und stellte lokale Behörden vor Probleme, bis er eines Tages spurlos verschwand. Die Ukraine-Beauftragte von Reporter ohne Grenzen, Oksana Romanjuk bezeichnet die Situation vor allem in ländlichen Gegenden als „katastrophal“ . „Der Medien-Pluralismus nimmt gerade im Bereich des Fernsehens ab, das die wichtigste Informationsquelle der Menschen ist und zunehmend regierungstreu berichtet. Auch eine Rückkehr der Selbstzensur sowie der physischen Attacken auf Journalisten sind zu beobachten“, sagt Romanjuk.


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