Kroatien

Wirtschaft bereitet sich auf EU-Beitritt 2012 vor

Auf dem Ban-Jelaćić-Platz in der kroatischen Hauptstadt Zagreb herrscht geschäftiges Treiben. Immer wieder hält eine der hellblauen Straßenbahnen und spuckt Dutzende Menschen aus. Neben dem Denkmal für den Namensgeber des Platzes – hoch zu Ross mit gezücktem Säbel – haben Pajo und Hadži ihren kleinen Stand aufgebaut. Einen Hit nach dem anderen schmettern die beiden älteren Herren den Passanten entgegen, Hadži fiedelt dazu auf der Geige.

Vom Stand der Musiker führt eine Treppe zum Markt. „Ich bekomme gerade mal 100 Euro Rente”, schimpft eine alte Marktfrau, ganz in schwarz gekleidet. Auf einem kleinen Campingtisch hat sie in runden Plastikschüsselchen Frischkäse drapiert – für einen Käse, groß wie zwei Handteller, verlangt sie 60 Cent. Sie kommt jeden Tag vom Land nach Zagreb gefahren, ein paar Kühe und Schweine hat sie noch, erzählt sie. „Wenn ich das nicht hätte, müsste ich betteln gehen”, sagt die Rentnerin.

So wie ihr geht es vielen: Zwei von drei kroatischen Rentnern müssen von umgerechnet 300 Euro im Monat leben, und das bei steigenden Preisen. EU-Beitritt Kroatiens? Die Marktfrau winkt ab. „Was soll mir der bringen?”

In einem Café sitzt die Schriftstellerin Sibila Petlevski. Die streitbare Präsidentin des kroatischen PEN-Clubs ist zwar ausdrücklich „pro Europa”, wie sie betont. Aber sie beklagt auch, dass es in der Europäischen Union „vor allem um Wirtschaft und Sicherheitsfragen” gehe. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir die Idee von Europa teilen könnten”, meint Petlevski, doch die europäische Wertegemeinschaft habe Schlagseite: Die Pogromstimmung gegen die Roma in Frankreich, Italien und Ungarn. Der zunehmende Nationalismus in Mittelosteuropa. „Ich bin als Europäerin ziemlich bestürzt”, sagt die dunkelhaarige Literatin.

Mit ihrem Skeptizismus ist die 46-jährige Autorin nicht allein. Nicht einmal jeder zweite Kroate ist für den EU-Beitritt seines Landes. Auch der junge Winzer Damir Režep ist skeptisch. Er lebt in einem kleinen Dorf rund 50km von Zagreb, wo er und seine Mutter pro Jahr rund 40.000 Flaschen Wein produzieren. „Das meiste verkaufen wir an Restaurants in Zagreb oder an der Küste”, erzählt Dargica, die studierte  Biologin ist. „Wir bedienen fast ausschließlich den kroatischen Markt.” Damit erreichen sie einen Jahresumsatz von etwa 70.000 Euro.

„Dieser Silvaner kam dieses Jahr auch in Deutschland gut an”, sagt Damir Režep und schenkt die Gläser voll. Erstmals hat er ins Ausland exportiert. Das will er mit Blick auf den EU-Beitritt Kroatiens auch weiter tun. Im Visier hat er dabei die Märkte in Deutschland und Österreich. Der EU-Beitritt Kroatiens macht ihm aber auch Sorgen. „Wir haben das Beispiel Slowenien vor Augen”, erzählt er, „die Preise für Wein sind in den Keller gegangen, der Markt wurde überschwemmt von Weinen aus dem Ausland.“

Peter Presber, Geschäftsführer der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer in Zagreb, nickt zustimmend. „Kroatische Lebensmittel haben in der Region einen ausgezeichneten Ruf”, meint er. Dieser hohe Standard müsse gehalten werden. Allerdings warnt der Ökonom: „Die Einfuhrzölle werden ein großes Problem sein.”

Insgesamt bescheinigt der Ökonom Kroatien aber ein großes wirtschaftliches Potenzial. „Das Land steht mit seinem Bruttoinlandsprodukt besser da als so manches neue EU-Mitgliedsland”, sagt Presber. Auch bei Zukunftstechnologien könne Kroatien ganz vorne mitspielen. „Nehmen Sie die Sonneneinstrahlung, Windenergie ist in starkem Maße vorhanden, es gibt Projekte, wie man Biomasse in Bioenergie umsetzen kann.” Das sei auch ein interessanter Markt für ausländische Unternehmen.

Auch beim Ausbau der Infrastruktur lässt sich Geld verdienen. Zum Beispiel an der Zentralkläranlage in Zagreb (ZOV) im Industriegebiet Žitnjak vor den Toren Zagrebs. Dort ist der deutsche Energieversorger RWE eine Liaison mit der Stadt eingegangen. „Wir haben eine neue Straße gebaut, eine Brücke über die Save, Abwasserleitungen, eine hochmoderne Kläranlage”, sagt Manager Ante Pavić und zeigt auf 130 Hektar Klärbecken. Es riecht penetrant nach gebratenem Mais und Schimmel: Faulschlamm, der hier aufbereitet wird. Die stinkende Masse wird hier in Biogas umgewandelt. „In diesem Gebäude machen wir unseren Strom”, sagt Pavić und steigt die Treppen hoch zu den Generatoren, die einen ohrenbetäubenden Lärm verursachen. Insgesamt vier Megawatt erzeugen sie – das reicht fast für den Eigenbedarf.

30 Millionen Euro haben die ungleichen Partner RWE und die Stadt Zagreb investiert und liefern sauberes Wasser für 1,2 Millionen Menschen. Der Vertrag läuft über 28 Jahre. Wenn es nach Pavić ginge, wäre Kroatien längst EU-Mitglied. „Kroatien ist nicht Balkan”, sagt er mit Nachdruck. „Kroatien befindet sich im Zentrum, im Herzen von Europa.”

Allerdings hat das Vier-Millionen-Einwohner-Land Kroatien nach wie vor mit einem typischen Balkan-Problem zu kämpfen. „Korruption ist immer noch weit verbreitet”, sagt Tomislav Petrović in seinem Büro in einem Hinterhof in der Zagreber Innenstadt. Der Präsident der kroatischen Sektion von Transparency International beklagt, dass geschätzte 800 Millionen Euro im Jahr in dunklen Kanälen verschwinden. Angefangen bei der sogenannten „Schalterkorruption”, um Behördengänge zu beschleunigen, bis hin zu Mauscheleien im großen Stil in höchsten politischen Kreisen. Der frühere Regierungschef Ivo Sanader etwa soll millionenschwere Beraterhonorare bei der Rettung der Hypo Alpe Adria Group mit Steuergeldern eingestrichen haben. Gegen ihn ermittelt die neue geschaffene Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft Uskok.

Auch der frühere Wirtschaftsminister Polančec musste wegen der sogenannten „Spice-Affäre” um den Lebensmittelkonzern Podravka zurücktreten. Im Zuge von Aktienmanipulationen wurden 34 Millionen Euro veruntreut. Und gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Rončević läuft ein Verfahren, weil er ohne Ausschreibung überteuerte LKWs gekauft hatte – Schaden: 1,3 Millionen Euro. Ende November vergangenen Jahres wurden Manager des Autobahnunternehmens „Hrvatska Autoceste” verhaftet, weil sie freihändig Auftragsnehmer mit Arbeiten beauftragten – und das deutlich überteuert. So flossen auch EU-Subventionen in falsche Taschen.

Dennoch meint der Geschäftsführer der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer Peter Presber, zeige der Kampf gegen Korruption erste Erfolge. Als ein deutsches Unternehmen den Zuschlag bekam, die Röntgenausstattung für kroatische Krankenhäuser zu liefern, habe Transparency International die Ausschreibung begleitet.

Auch die neue Mitte-Rechts-Koalition hat sich den Kampf gegen die Korruption auf die Fahne geschrieben. Regierungschefin Jadranka Kosor versucht, sich von ihrem einstigen Ziehvater Ivo Sanader abzusetzen. Sie ließ ihn aus der konservativen Partei HDZ werfen. Aber die Bürde der Vergangenheit ist schwer, die Altlasten lauern überall. „Ein Amt wird leider immer noch als Beute angesehen”, betont Tomislav Petrović von Transparency Intenrational. Er meint, dass nur Druck aus Brüssel das Problem Korruption lösen könne.


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