Ungarn

Rot vor Wut

„Uns hilft niemand, uns informiert niemand.“ Der 50-jährige Landwirt in Trainingsanzug und Gummistiefeln aus dem Dorf Kolontar wirkt müde und desillusioniert. Die rote Schlammlawine hat seinen Hof, seine Keller und Gärten überschwemmt. Alles ist hin. Und er weiß nicht, ob und wer ihm den Schaden ersetzt.

Hoher Eisenanteil im Schlamm

Neben der großen Anteilnahme mit den Opfern und Leidtragenden der Giftschlammkatastrophe in den westungarischen Ortschaften Kolontar und Devecser herrscht in Ungarn auch helle Empörung. Der Zorn vieler Menschen richtet sich nicht zuletzt auf die Leitung des Unternehmens MAL Magyar Aluminium Zrt. MAL ist der Eigentümer jenes lecken Ablagerbeckens, aus dem sich am Montag rund eine Million Kubikmeter roter Giftschlamm in die Landschaft und die umliegenden Gemeinden ergoss.

„Ich war beim Kochen, als ich eine rote Flut sah“, erzählt Maria aus Devecser, westlich von Kolontar. Eineinhalb, zwei Meter sei sie hoch gewesen und habe sich träg fortbewegt. „Da hab ich meine fünf Kinder gepackt und bin gerannt, auf einen Hügel, wo wir sicher waren.“ Nun steht sie in Devecser und hat Säcke mit Windeln und Essen in der Hand, es sind Hilfsgüter. Schon jetzt haben zwei der Kinder Asthma, und das dürfte noch schlimmer werden: Wenn der Schlamm getrocknet ist, wird der Wind den Staub mit sich tragen. Jetzt schon riecht es in der wie auf dem Mars rot gefärbten Landschaft rostig – das kommt vom hohen Eisenanteil im Schlamm.

Firmenleitung gehört zu reichsten Personen Ungarns

Grund für die Wut der Bevölkerung sind deshalb die Aussagen der Firmenleitung, wonach der Giftschlamm gar nicht so giftig und schädlich sei. Zum anderen wird die Knauserigkeit der Aluminiumfabrik scharf kritisiert. MAL hat allen Leidtragenden der Schlammkatastrophe eine Soforthilfe von 100.000 Forint versprochen. In den Augen vieler, zumal den Opfern, ist das aber viel zu wenig. Denn die Mitglieder der Chefetage von MAL gehören zu den hundert reichsten Personen des Landes.

Nach Informationen der Wirtschaftszeitung „Napi Gazdasag” liegt das Vermögen des Haupteigentümers Lajos Tolnay, der 40 Prozent der Anteile an MAL hält, bei rund 23 Milliarden Forint. Er steht auf der Liste der 100 reichsten Ungarn an 21. Stelle. Jeweils 30 Prozent an MAL sind im Besitz der Familie Bakonyi und von Béla Petrusz. Sowohl die Familie Bakonyi, aus der Zoltan Bakonyi in der Chefetage von MAL sitzt, als auch Petrusz verfügen laut „Napi Gazdasag”  über ein Vermögen in Höhe von 16,5 Milliarden Forint.

Kommunistische Erfolgsgeschichte

Die Aluminiumproduktion galt zu Zeiten des Kommunismus als eine der Erfolgsgeschichten des ungarischen Industriesektors. Zur Privatisierung der ungarischen Aluminiumbranche kam es zwischen 1995 und 1999. In dieser Zeit konnten Tolnay, die Familie Bakonyi, damals noch Arpad Bakonyi, und Béla Petrusz das heutige Unternehmen MAL dank ihrer Kontakte und unter schleierhaften Umständen günstig erwerben. Seither brachte das Aluminiumgeschäft allen dreien einen sagenhaften Reichtum ein.
Die Einnahmen von MAL beliefen sich im Jahr 2009 auf 28, 3 Milliarden Forint. Im Jahr 2007 lagen die Einnahmen des Unternehmens sogar bei 56,4 Milliarden Forint. Der scharfe Einnahmerückgang ist vor allem auf die Weltwirtschaftskrise zurückzuführen, die auch die Aluminiumindustrie arg in Mitleidenschaft gezogen hat. MAL gilt in der Region, wo sich die Giftschlammkatastrophe ereignet hat als größter Arbeitgeber. So beschäftigt das Unternehmen im Unglücksgebiet 1.066 Personen. Die Arbeitslosigkeit beträgt in der Region 12,5 Prozent, was über dem Landesdurchschnitt liegt.

„Menschliches Versagen” als Ursache

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der am Donnerstag in der Unglücksregion war, betonte, dass hinter der Giftschlammkatastrophe höchstwahrscheinlich „menschliches Versagen” stehe. An die Adresse von MAL, sagte Orban, dass die Verantwortlichkeit des Unternehmens aufs Strengste untersucht werde. Von dem Gesehenen sichtlich berührt, bemerkte der Regierungschef auch Folgendes: „Wenn die Katastrophe in der Nacht geschieht, sind die Menschen in den Unglücksorten alle tot. Das ist eine Verantwortungslosigkeit, zu der ich keine Worte finde.”                 


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