Streit um Sexualkunde
Viele Tschechen reiben sich verwundert die Augen über eine Debatte in ihrem Land, die sie weder so, noch in dieser Schärfe je erwartet haben. Es geht um den Sexualkundeunterricht an den Grundschulen und damit um die Frage: Wer sagt es meinem Kinde, und wie?
Die Verwunderung über diese Debatte kommt nicht von ungefähr. Die Tschechen gelten nämlich nicht gerade als prüde. Sexuellen Kontakt per Internet zu suchen, ist völlig unproblematisch. Für diese Zwecke gibt es mindestens zwanzig einschlägige Adressen auf Tschechisch. Fernsehwerbung für alle möglichen Produkte hat oft einen etwas schlüpfrigen Unterton. Nahezu alle tschechischen Frauen können sich darüber amüsieren und finden das keineswegs anstößig.
Untreue Männer sind „richtige Kerle“
Zwar ist die gewisse Leichtlebigkeit, die sich hier zeigt, in den vergangenen zehn Jahren statistisch etwas zurück gegangen. Laut einer Umfrage aus dem Vorjahr räumen 55 Prozent der verheirateten Männer und 34 Prozent der verheirateten Frauen ein, ihrem Partner untreu gewesen zu sein - weniger als in der Zeit unmittelbar nach der „Wende“. Dennoch teilen noch immer viele die Auffassung, dass der Mensch nicht dafür gemacht sei, Jahrzehnte lang treu zu sein. Nur ein Drittel verurteilt sexuelle Ausbrüche aus der Ehe als unmoralisch. Schreiben die Zeitungen darüber, dass wieder einmal ein Politiker oder ein Prominenter aus der Künstlerszene fremd gegangen sei, dann tut das der Popularität der Betroffenen in der Regel keinen Abbruch. Tschechische Männer, die sich bei ihren Partnerinnen „umorientieren“, gelten selbst bei den meisten Leserinnen als „richtige Kerle“. Zunehmend offenbaren auch Frauen, dass sie es für normal halten, aus einer Beziehung auszubrechen.
Sollte Aufklärung an Schule stattfinden?
Konservativen Tschechen, darunter auch den Kirchen, geht dieser Lebenswandel schon seit geraumer Zeit gegen den Strich. Sie streiten nun über einen Leitfaden für den Sexualkundeunterricht an Schulen, der den Lehrern Empfehlungen gibt, wie sie Kindern das Thema nahe bringen können. Eigentlich geht es um die generelle Frage, ob die Schule überhaupt der richtige Ort sei, Kinder aufzuklären. Die Konservativen verneinen das eindeutig und sprechen diese Aufgabe allein dem Elternhaus zu.
Spielerische Sexualkunde: Reise nach Jerusalem
Der im Auftrag des Bildungsministeriums erstellte Leitfaden dagegen verführe die Kinder regelrecht zu ungesund frühen sexuellen Erlebnissen und rede viel zu offen über Praktiken, die als bedenklich eingestuft werden müssten. So stoßen sich die Kritiker beispielsweise an einer Empfehlung zur Einleitung in das Thema, eine Art Reise nach Jerusalem, bei der all jene Schüler die Plätze tauschen sollen, die schon einmal onaniert hätten. Generell würden die Schüler viel zu freizügig über Autoerotik oder sexuelle Verirrungen informiert. Völlig daneben liege der Leitfaden auch beim Thema Homosexualität, werde die doch keineswegs als „abnorm“, sondern als „normale sexuelle Orientierung einer Minderheit“ dargestellt. Es gehe auch nicht an, dass man die Kinder ermutige, durchaus zwischen Sex und Liebe zu unterscheiden.
Freilich wird den Autoren, zumeist Psychologen und Sexualpädagogen, damit auch Unrecht getan. Immerhin findet sich bei ihnen auch der Satz: „Angenehme sexuelle Erfahrungen macht man am besten in einer langen, stabilen und schönen Beziehung“. Dass der Leitfaden auch Hinweise zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten und ungewollten Schwangerschaften bietet, rettet ihn aus der Sicht seiner Kritiker nicht.
Bildungsminister gibt nicht nach
Wie heftig die Debatte tobt, zeigte sich in einem Beitrag der populären Wochenzeitschrift „Reflex“. Dort empfahl man einem der Autoren des Leitfadens, sich in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung einweisen zu lassen.
Der neue Bildungsminister Josef Dobes geht indessen auf die Kritiker zu, hat auch schon mit dem neuen Prager Erzbischof Dominik Duka gesprochen. Die Bischofskonferenz hatte bemängelt, dass der Leitfaden nicht ausreichend mit Eltern- und Bürgerverbänden besprochen worden sei. In der Sache bleibt der Minister jedoch bislang hart. Der Leitfaden solle erst einmal nicht geändert werden. Zumal er ja auch kein Schulbuch für die Kinder sei, sondern lediglich eine Handreichung für die Lehrer.