Gasknappheit bindet Polen an Russland
Ein von Polen und Russland ausgehandelter Vertrag um russische Gaslieferungen sorgt in der Europäischen Union für Ärger. Polen hatte mit dem russischen Konzern Gazprom einen Zusatz zu einem bestehenden Liefervertrag ausgehandelt, der die Abhängigkeit des Landes von seinem Nachbarn vergrößert. Dies widerspricht den Zielen der EU, sich in Energiefragen langfristig von Moskau unabhängiger zu machen. Das Dokument verstoße gegen EU-Recht, heißt es aus der EU-Kommission. Doch Polen beharrt auf dem Vertrag. Sonst müsste es bereits in vier Wochen seinen Verbrauch einschränken.
Derzeit verhandeln die Kontrahenten in Moskau, um den Streit zu lösen. „Das Klima der Gespräche ist konstruktiv“, sagte der stellvertretende polnische Premierminister Waldemar Pawlak. Alle Beteiligten hätten sich langsam angenähert. Doch hinter den Kulissen sind die Fronten verhärtet. Brüssel moniert, dass Gazprom die Preise festlegt und gleichzeitig den Transport durch die Jamal-Gasleitung zwischen Deutschland und Russland überwachen soll. „Das verletzt EU-Recht“, mahnte der deutsche Energie-Kommissar Günther Oettinger. Doch Gazprom sieht sich nicht in der Pflicht, die Überwachung der Leitung an einen anderen Konzern zu übertragen. Europäisches Recht sei für den Konzern nicht bindend, da Russland kein EU-Mitglied sei. Polen ist auf Russlands Seite, weil der alte Vertrag mit den Russen schon am 20. Oktober erlischt.
Polen sieht derzeit keine andere Möglichkeit, seinen rasant steigenden Gasbedarf zu decken, als eine seltene Koalition mit seinem Nachbarstaat einzugehen. Sonst würde die wachsende Gesamtwirtschaft erheblich unter Druck kommen. Der neue umstrittene Zusatz zum Vertrag sieht eine Anhebung der Liefermengen von bisher maximal neun Milliarden Kubikmeter auf 10,3 Milliarden Kubikmeter vor. Er soll bis zum Jahr 2037 gelten. Insbesondere die Chemiebranche kommt ohne Gas nicht aus.
Auch wenn Polen schon einige Anstrengungen unternommen hat, lässt die Erschließung neuer einheimischer Förderquellen auf sich warten. So hält die britische Gas-Fördergesellschaft Aurelian Oil and Gas die unkonventionellen Gasvorkommen wie die gerade entdeckten Lager aus Schiefergestein zwar für gigantisch. Doch die ersten Testergebnisse werden erst gegen Jahresende erwartet – ehe dieses Gas genutzt werden kann, werden noch Jahre vergehen.
Dabei hatte Polen es sich mit der Verlängerung des Vertrages mit Russland nicht leicht gemacht. Ganze neun Monate verhandelten beide Seiten, bis sie im Januar dem Zusatzprotokoll zustimmten. Auch in Polen wurden die Verhandlungen mit Argwohn betrachtet, denn aufgrund der schwierigen gemeinsamen Geschichte kochen hier die Emotionen regelmäßig hoch. „Die Aufgabe der polnischen Regierung ist nicht der ideologische Kampf mit irgendeinem Staat, sondern die Gewährleistung, dass Polen ständig Gas zu einem Preis erhält, der mit anderen Verträgen vergleichbar ist“, versuchte Premierminister Donald Tusk zu beschwichtigen. Die konservative polnische Zeitung „Polska“ wundert sich dennoch: „Das ist ein komischer Tanz Polens mit Gazprom“.
Für den Fall, dass Brüssel sich nicht umstimmen lassen und den Vertrag mit Russland blockieren sollte hat Polen bereits vorgesorgt. Der polnische Versorger PGNiG hat mit der deutschen E.ON einen zusätzlich Liefervertrag geschlossen. Der Rohstoff soll von E.ON-Lagern aus Ungarn kommen – und zwar über die Ukraine an die östliche Grenze Polens. Hier gab es zwar noch keine Details, doch möglicherweise helfen die Deutschen den Polen aus, unabhängig davon, wie die EU entscheidet.