Polen

Umstrittenes Holzkreuz entfernt

Sie stehen da, sie beten und singen. Wie seit Wochen schon. Manchmal sind es zehn, manchmal 40 Leute, manchmal sogar mehr. Immer dieselben Gesichter. Und doch ist etwas anders heute vor dem Präsidentenpalast in Warschau. Die Gegner fehlen. Und vor allem fehlt die Hauptsache: das vier Meter hohe Holzkreuz. Polnische Pfadfinder hatten es unmittelbar nach dem Flugzeugabsturz aufgestellt, bei dem am 10. April der damalige Staatschef Lech Kaczynski und 95 weitere Insassen ums Leben kamen.

 „Am Donnerstagmorgen wurde das Kreuz in die Kapelle des Präsidentenpalastes gebracht“, erklärte der Chef des Präsidialamts, Jacek Michalowski, auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz. „Geklaut haben sie es, wie Diebe!“, ruft unterdessen ein Mann vor dem Palast. Herr Czesio, wie man ihn hier bei seinem Vornamen ruft, gehört zum harten Kern der Kreuzverteidiger. Er ist empört: „Gegen acht Uhr kamen vier Männer aus dem Palast, schraubten das Kreuz ab und das war's“, erzählt er. „Mit uns, mit der Nation, haben sie überhaupt nicht gesprochen. Das sind keine polnischen Beamten, das sind Verräter.“

Während des Wahlkampfs, der bald nach dem tragischen Flugzeugunglück begann, wurde das Kreuz schnell zu einem politischen Symbol. Hier versammelten sich die Anhänger von Jaroslaw Kaczynski, dem Bruder des getöteten Präsidenten, der für dessen Nachfolge kandidierte. Hier trafen sich jene, die an ein inszeniertes Unglück, an ein Komplott von Russen und der liberalen polnischen Regierungspartei, der Bürgerplattform, glaubten und eifrig Verschwörungstheorien verbreiteten.

Sie konnten sich nicht durchsetzen: Bei den Wahlen Anfang Juli siegte Kaczynskis politischer Gegner, Bronislaw Komorowski. In langen Gesprächen einigten sich das Präsidialamt, die Bischöfe und die Pfadfinder darauf, das Kreuz am 3. August in die benachbarte St. Anna Kirche zu überführen. Der Versuch endete in Ausschreitungen, die Verteidiger des riesigen Kreuzes griffen die Polizei und sogar Priester an. Das Präsidialamt brach die Aktion ab, „um Gewalt und möglich Opfer zu vermeiden“.

„Sie mussten aufhören, weil sie sich gegen uns gestellt hatten, gegen den Willen des Volkes“, erklärt Herr Czesio, der selbstverständlich auch damals vor dem Palast war. „Das war ja ein Vorgehen wie zu Zeiten des Kommunismus.“ In einer Demokratie, so die Verteidiger des Kreuzes, dürfe das Volk die politische Richtung bestimmen. Und das wolle ein Denkmal für den verstorbenen Präsidenten vor dem Palast. „Das Kreuz soll Teil davon sein“, findet Herr Czesio.

„Der Kampf um das Kreuz ist in Wirklichkeit ein Kampf zwischen verschieden Visionen für Polens Zukunft“, sagt Jacek Kucharczyk vom Institut für Öffentliche Angelegenheiten. „Einige kämpfen mit dem Schwert, andere mit Argumenten, wieder andere mit dem Kreuz“, erklärte Ministerpräsident Donald Tusk dazu am Donnerstag in Brüssel. Er lobte die Entfernung des Kreuzes knapp als gute Entscheidung, auf die viele Polen gewartet hätten. „Die bestehende Situation hat sowohl dem Staat als auch der Kirche geschadet und die religiösen Gefühle vieler Polen verletzt”, hieß es in einer Stellungnahme aus dem Präsidialamt.

„Schade, dass dies erst so spät geschehen ist“, urteilte Lech Walesa, ehemaliger polnischer Präsident und Solidarnosc-Legende. Selbst die Warschauer Kurie begrüßte „das Ende der Entweihung des Kreuzes zu politischen Zwecken“. Einem Priester, der vor dem Kreuz regelmäßig mit Kaczynski-Anhängern betete, drohte sie mit der Suspendierung.

„Das Kreuz hat die polnische Bevölkerung gespalten, bis hinein in die Familien der Opfer“, erklärte der sozialdemokratische Abgeordnete Bartosz Arlukowicz. „Ein Kreuz gehört nicht in den öffentlichen Raum, sondern in ein Gotteshaus. Und politische Debatten sollten sich nicht an religiösen Symbolen entzünden, sondern etwa an der Wirtschaftskrise oder der Steuerfrage“, so Arlukowicz. Umfragen zufolge lehnen etwa 70 Prozent der Polen sowohl das Kreuz als auch ein Denkmal vor dem Präsidentenpalast ab. Als möglichen Ort für ein Denkmal nennen sie den historischen Powazki-Friedhof, auf dem viele der Opfer ruhen oder die Flugplätze in Smolensk und Warschau.

„Es ist eine Schande“, empört sich hingegen die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Monatlich versammelten sich ihre Vertreter am Tag des Unglücks um das Kreuz. Am vergangenen Freitag war auch der Bruder des verstorbenen Staatschefs, Jaroslaw Kaczynski, anwesend und griff in einer Rede die Regierung an. „Das Gedenken an Lech Kaczynski und andere Opfer wird mit Füßen getreten“, sagt die PiS-Abgeordnete Beata Kempa, „die Regierung hat panische Angst vor der Erinnerung an den verstorbenen Präsidenten.“
 
„Wir werden jetzt 96 neue Kreuze aufstellen“, sagt Herr Czesio, der am Donnerstagnachmittag dem Regen vor dem Präsidentenpalast trotzt – eines für jeden Toten. „Wir werden weiter kämpfen, wir ergeben uns nicht.“ Der konservative Publizist Tomasz Terlikowski erwartet gar Unruhen, „viel heftiger als im August.“

Iwona Czerska hingegen schaut erleichtert auf die Stelle, an der gestern noch das Kreuz stand. „Endlich“, sagt sie nur. Sie war gelegentlich vor den Palast gekommen, „um zu zeigen, dass es auch andere Menschen als die Kreuzverteidiger gibt.“ Für sie ist die Sache jetzt erledigt, das Kreuz sei dort, wo es hingehöre: weg von der Straße, in einer Kirche. Doch als sie die Verwünschungen des Herrn Czesio hört, seufzt sie: „Tja, das Kreuz ist verschwunden, aber der Krieg darum ist offensichtlich noch nicht vorbei.“


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