Am Rande der Gesellschaft
Caterina Rupa öffnet das Tor, sie lächelt, lädt auf den Hof vor dem bescheidenen Familienhaus ein. Seit 1989 wohnt die 43-jährige Frau mit ihrem Mann Sandu und ihren neun Kindern in Straulesti, „in Bukarests erstem Sektor“, erklärt sie bitterironisch. Tatsächlich gehört diese abgelegene Gegend am nördlichen Rand der rumänischen Hauptstadt zu einem beliebten Bezirk, in dem sich sogar Prominente protzige Villen zwischen Wäldern und Seen gebaut haben.
Doch davon ist im nur wenige Kilometer entfernten Straulesti wenig zu spüren: Das Viertel rund um den Petrila-Boulevard gilt als eine besonders schlechte Gegend, denn die meisten Anwohner sind Roma. Entsprechend gering ist das Interesse der Behörden an dem Stadtteil. Als Familie Rupa vor mehr als 20 Jahren hierhin gezogen ist, gab es unter der kommunistischen Regierung noch Modernisierungspläne für die Gegend. Kurz danach aber kam die Wende, die chaotische Übergangsphase, der wirtschaftliche Wandel. Sandu Rupa verlor seine Stelle als ungelernter Arbeiter bei einer nahe liegenden Fabrik. Seit dem sucht der inzwischen 50-jährige Mann einen festen Arbeitsplatz. Doch mehr als gelegentliche Tagesjobs in der Bauindustrie konnte er ohne Ausbildung nicht finden. Bis heute lebt die Familie, wie viele andere Roma in Rumänien, in bitterer Armut. Die Straßen des Viertels sind immer noch nicht asphaltiert worden, Wasser gibt es nur draußen im Brunnen, und auf die Abwasserleitungen warten die Anwohner ebenfalls vergebens.
„Alle vier Jahre, kurz vor den Kommunalwahlen, kommt jemand vom Bezirksrat des ersten Sektors und verspricht, dass wir bald alles kriegen werden“, erzählt Caterina Rupa. „Wir wollen, dass sie endlich etwas machen, zumindest für unsere Kinder“, fleht sie. Auf dem Hof spielen drei Jungen im Staub.
Vor einem Jahr verloren die Roma und andere Anwohner die Geduld. Sie organisierten eine Protestaktion. Stundenlang blockierten sie den asphaltierten Petrila-Boulevard, sodass kein Auto durchfahren konnte. Oberbürgermeister Sorin Oprescu versprach daraufhin eine baldige Lösung für das Infrastrukturproblem der Zone, doch bisher passierte nichts. Mitten in der Wirtschaftskrise müssten Prioritäten gesetzt werden, heißt es jetzt im Rathaus.
Tatsächlich aber waren die etwa zwei Millionen Roma und ihre Armut- und Bildungsprobleme nie eine Priorität für die Politik in Rumänien. Obwohl diese ethnische Minderheit mit eigener Sprache und Kultur immerhin zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht, führt sie im eigenen Land seit fast tausend Jahren eine Existenz am Rande der Gesellschaft.
Die systematische Diskriminierung hat historische Wurzeln. Bis ins späte 19. Jahrhundert arbeiteten viele Roma auf Feldern oder als Sklaven rumänischer Aristokraten. Viele andere zogen von einem Dorf ins nächste. Genaue Zahlen über die Roma-Bevölkerung lassen sich bis heute nur schwer ermitteln, denn viele Roma geben bei Volkszählungen ihre ethnische Herkunft nicht an. Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele Roma auf Befehl des faschistischen Marschalls Ion Antonescu abgeschoben oder ermordet. Zudem setzte die kommunistische Regierung durch strenge Anmelde-, Schul- und Arbeitspflicht dem Nomadenleben größtenteils ein Ende.
„Unmittelbar nach der Wende fielen diese Kontrollmechanismen weg. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre eine gezielte und bewusste Integrationspolitik nötig gewesen“, erklärt der Bukarester Politologe Daniel Barbu. Schon im Kommunismus existierten Rassismus und Diskriminierung vor allem im Alltag, fügt der Professor hinzu. Die fragile Demokratie der 1990er Jahre war ebenfalls durch nationalistische Tendenzen geprägt, während die Roma vom Wirtschaftswandel und der finanziellen Not im Bildungssystem wegen ihrer meist schlechten Ausbildung und prekären Umstände am meisten betroffen waren. In den letzten Jahren sind einige wenig ambitionierte Integrationsprogramme eingeführt worden. Jedoch ohne großen Erfolg.
Vorurteile über Roma sind in der rumänischen Bevölkerung weit verbreitet und auch salonfähig. Dies zeigt ein Bericht der Menschenrechtsgruppe Romani Criss. Die Organisation arbeitet mit Amnesty International zusammen und dokumentiert seit Jahren zahlreiche Fälle aus Kleinstädten und Dörfern, in denen die Rechte der rumänischen Roma verletzt worden sind. Im Jahresbericht für 2009 beklagt Romani Criss Brandstiftungen bei Roma-Häusern in Siebenbürgen, Verweigerungen medizinischer Behandlungen und Gewalt von Polizeibeamten.
Außerdem werden Roma-Kinder häufig in Sonderschulen untergebracht und so von der Mehrheitsbevölkerung getrennt, was ihre Bildungs- und Arbeitschancen massiv beeinträchtigt und sie stigmatisiert. Die Aktivisten bieten den Betroffenen Beratung in rechtlichen Fragen, leisten Aufklärungsarbeit in den Gemeinden und führen mehrere Integrationsprojekte in Schulen und Kindergärten durch.
Eine angemessene Reaktion der Politik bleibt aber weiterhin aus, nicht zuletzt weil die Roma, im Gegensatz zur ungarischen Minderheit, von keinem Dachverband vertreten sind. Den kleinen, untereinander sehr zerstrittenen Organisationen fehlt die politische Repräsentanz, die beispielsweise der ungarischen Minderheit einen ständigen Platz am Regierungstisch garantiert. Dies schränkt wiederum den Handlungsspielraum der Behörden ein, denn es ist schwer zu sagen, wer der entsprechende Gesprächspartner in der Zivilgesellschaft ist.
Doch es gibt auch kleine Hoffnungsschimmer. Caterina Rupa wirft ihren gelassenen Mutterblick auf die kleinen Kinder im Hof. „Die zwei Älteren gehen schon aufs Gymnasium. Das habe ich nicht geschafft.“