Ungarn

Unter nationalistischem Vorzeichen

Ein Dutzend ungarische Flaggen, tausende Zuhörer – das sind Auftritte, die Viktor Orban liebt. „Heimatliebe muss man uns nicht erklären“, sagte er, als er in der vergangenen Woche zu den Angehörigen der ungarischen Minderheit im serbischen Palic sprach. Etwa 250.000 Ungarn leben hier. Ihnen verspricht Orban an diesem Tag mehr Geld, Mittel für ein Stipendienprogramm, Internate und einen Schulbusdienst.

Die angekündigte Geldspritze für die ungarische Minderheit ist nicht mit der serbischen Regierung abgesprochen. Doch das schert Viktor Orban nicht. Auch für den Doppelpass für die Auslandsungarn hat er die Anrainerstaaten nicht konsultiert. Noch vor Amtsantritt im Mai verabschiedete die Regierungspartei Fidesz mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament ein Gesetz, das den im Ausland lebenden Ungarn die ungarische Staatsangehörigkeit ermöglicht. Ein Eklat, die Regierung in Bratislava tobte und drohte jedem der 500.000 slowakischen Ungarn, der den Doppelpass annehmen wolle, die Ausbürgerung an. Die Wähler aber jubelten, die Zustimmungsraten sind anhaltend hoch.

Kampf auf die letzten Bastionen der Linken

Am 2. Oktober finden Kommunalwahlen statt. Fidesz hat zum Kampf auf die letzten Bastionen der Linken, insbesondere Budapest, geblasen. Und das auch mit den Mitteln der Kultur. Unliebsame Kulturschaffende wie der Künstlerische Leiter der Budapester Staatsoper, Balazs Kovalik, werden geschasst – mutmaßlich, weil er die Nationaloper „Bank Ban“ von einem Italiener inszenieren lassen wollte. Alternative Theaterprojekte werden finanziell so kurz gehalten, bis Ausländer nach Monaten ohne Lohn die Ensembles entnervt verlassen. Stattdessen rücken die bis zu drei Millionen Auslandsungarn in den Focus der nationalkonservativen Kulturpolitik. Dafür soll der neue Leiter der Nationalen Kulturstiftung sorgen, der Animationsfilmer Marcell Jankovics. „Die Kleinen sollen viel bekommen“, sagte er im ungarischen Fernsehen. „Die Kleinen“, das heißt „Amateure, Provinz und Auslandsungarn“.

In der Provinz hat die Regierungspartei Fidesz ihre Machtbasis, das „linke“ Budapest soll nach den Vorstellungen Jankovics künftig weniger Kulturförderung erhalten. In der Bildungspolitik werden die regionalen Selbstverwaltungen künftig weniger Geld zuschießen müssen, aber auch weniger Einfluss haben. Wichtige Schlüsselpositionen werden mit Parteifreunden und Getreuen besetzt. „Nehmen Sie den Leiter der Nationalen Kulturstiftung und zahllose Wissenschaftsinstitutionen“, sagt der Pecser Verleger und Träger des Leipziger Buchpreises für europäische Verständigung, Gabor Csordas. „Überall werden Personen aus politischen Gründen ausgetauscht.“ Das hätte zwar auch die Vorgängerregierung getan, aber „nicht so schnell und dreist“, meint der Intellektuelle.

Erfüllungsgehilfe der Regierungs-PR

Ein eigenständiges Kulturministerium hat die Regierung Orban abgeschafft. Zuständig ist jetzt ein Staatssekretär in einem „Superministerium“, der siebenbürgische Schriftsteller Geza Szöcs. Er ist weisungsabhängig, und er ist ein Parteifreund Viktor Orbans, der seine schützende Hand über ihn hält – noch. Denn Szöcs hat in einem Interview mit der linksliberalen Wochenzeitung „Magyar Narancs“ öffentlich angezweifelt, ob die Wahl Jankovics´zum Leiter der Nationalen Kulturstiftung eine gute Wahl gewesen sei. Auch in einer anderen Frage vertritt er andere Ansichten als sein Chef, der Ministerpräsident. „Ich glaube nicht, dass man mit einer Kampagne das Ansehen des Landes verbessern kann“, sagte Szöcs im Fernsehen. „das können nur Werke von Rang“.

Erfüllungsgehilfe der Regierungs-PR sollen die 19 Ballasi-Institute sein, die Ungarn im Ausland betreibt. Deren neuer Chef ist ein Parteisoldat, der Fidesz-Politiker Pal Hatos. „Das Neue ist, dass wir jenseits des herkömmlichen Kulturbegriffs eine Aufgabe zu erfüllen haben“, sagte Hatos im Fernsehinterview. Eine einheitliche Strategie werde kommen, im Gegensatz zu früher, wo jeder Institutsleiter relativ autonom habe entscheiden können.

„Das Niveau wird sinken“

Auch nach der Kontrolle der Medien greift Fidesz. Die Spitze der Stiftung, die den öffentlich-rechtlichen Sender „Duna TV“ betreibt, wurde mit einem Fidesz-Mann besetzt. Eine andere Parteifreundin passt als Direktorin einer neuen Überwachungsbehörde auf, dass die Medien nicht zu übermütig werden. Annamaria Szallai war früher mal Chefredakteurin einer erotischen Zeitschrift.

„Das Ziel ist klar: Mit möglichst wenig Opposition zu regieren“, meint Verleger Csordas. Aus machtpolitischer Sicht sei das kurzfristig sinnvoll, auf lange Sicht aber schädlich für Ungarn, denn Fidesz verfüge nicht über genügend Geistesgrößen von Format, so Csordas. „Das Niveau wird sinken“. Der größte Flurschaden werde aber dadurch angerichtet, dass „niemand mehr den Institutionen vertraut, weil überall politische Hintergedanken vermutet werden“. Eine „paranoide Logik“ sei das, die derzeit ganz Ungarn erfasst habe.


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