„Femen” stellt Regierung bloß
Die jungen Frauen vor dem Gebäude des ukrainischen Geheimdienstes SBU sehen aus, als hätten sie sich zu einem Casting für eine Modelagentur versammelt. Sie tragen Blumenkränze im Haar, hohe Pumps, Miniröcke und knappe Bustiers. Sie halten bunte Plakate in die Luft. „Für Versammlungsfreiheit”, steht auf einem Plakat. „Für Meinungsfreiheit”, ist auf einem anderen zu lesen. „Ihr Hunde, nehmt die Pfoten weg“, rufen die Frauen im Chor.
Die Protestaktionen der Gruppe „Femen“ gleichen Model-Castings / André Eichhofer, n-ost
Die Frauenrechtsorganisation Femen greift zu drastischen Mitteln, um in der politikverdrossenen Ukraine Aufmerksamkeit zu erlangen. Vor vier Jahren riefen ukrainische Studentinnen die Organisation ins Leben. Damals protestierten sie gegen Sextourismus und Prostitution. Dazu organisierten sie Schlammschlachten in der Kiewer Innenstadt oder verkleideten sich als Prostituierte. Heute demonstrieren sie gegen die Einschränkung der Pressefreiheit, gegen den pro-russischen Kurs der Anfang des Jahres gewählten Regierung und gegen Einschüchterungsversuche des Geheimdienstes. „Unter Präsident Viktor Janukowitsch hat sich das politische Klima dramatisch verschlechtert“, sagt Anna Hutsol, Vorsitzende von Femen. „Noch vor einem Jahr hat es die Polizei nicht interessiert, wenn wir demonstriert haben.“ Heute würden zwanzig Demonstrantinnen von fünfzig Polizisten bewacht, sagt die junge Frau.
Wütend sind die Frauen auch auf Ministerpräsident Mykola Asarow. Der Politiker machte im Mai mit einem frauenfeindlichen Statement auf sich aufmerksam: Frauen seien nicht fähig, ein Land zu regieren, sagte Asarow. Die Aussage richtete sich gegen die Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Als Femen gegen die Äußerung protestierte, seien mehrere Demonstrantinnen von der Polizei abgeführt worden. Eine weitere Demonstration gegen die Annäherung der Ukraine an Russland sei von den Behörden verboten worden, berichtet Anna Hutsol.
Eine junge Frau hält eine Maske von Ministerpräsident Mykola Asarow vor ihr Gesicht / André Eichhofer, n-ost
Unbehagen bereitet den Frauen auch eine geplante Änderung des Versammlungsrechts. Die Regierung hat im Mai einen Gesetzesentwurf verabschiedet, wonach Demonstrationen vier Tage vorab angekündigt werden müssen. „Früher konnten wir unsere Demonstrationen zehn Minuten vor Beginn anmelden“, sagt Anna Hutsol. Das neue Gesetz mache es unmöglich, spontane Demonstrationen zu organisieren. Tanja Kozak, Sprecherin von Femen, ergänzt: „Die Regierung hat Angst davor, dass die Menschen ihre Meinung sagen.“
Mit ihren provokanten Aktionen bekommen die knapp bekleideten Frauen in der Ukraine so viel Aufmerksamkeit wie keine andere Oppositionsgruppe. Regelmäßig erscheinen Fotos von ihnen in der Presse. Doch nun haben sie sich eine mächtige Behörde zum Feind gemacht – den ukrainischen Geheimdienst. „Um ein Uhr nachts klingelte es plötzlich an meiner Haustür“, erzählt Anna Hutsol. Vor der Tür hätten zwei Männer in schwarzen Lederjacken gestanden. „Sie zeigten ihre Ausweise und sagten, ich solle auf die Straße kommen.“ Dort hätten die Männer sie zu überreden versucht, eine geplante Demonstration abzusagen. Ansonsten würden sie ihr „alle Knochen brechen“, berichtet Anna Hutsol. Zwei andere Mitglieder von Femen hätte der Geheimdienst in der Universität besucht. Den Studentinnen sei mit Ausschluss vom Studium gedroht worden, falls sie sich weiterhin bei Femen engagierten. „Wir haben beschlossen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt Anna Hutsol. Unter dem Slogan „Nehmt eure Pfoten weg“, protestiert Femen gegen die Drangsalierung durch den Geheimdienst.
Demonstrationen mit Hammer und Blüten im Haar / André Eichhofer, n-ost
Auch andere Oppositionelle berichten über die merkwürdige Praxis der Sicherheitsbehörde. Geheimdienstbeamte würden Regierungskritiker besuchen und so genannte „vorbeugende Gespräche“ führen. Im Mai sollen zwei Agenten den Rektor der Katholischen Universität Lemberg aufgefordert haben, Studentenproteste gegen die Regierung zu unterbinden. Im Juni hätten Geheimdienstleute einem russischen Journalisten der Zeitung Kommersant mit der Ausweisung aus der Ukraine gedroht, falls er nicht aufhöre, kritische Berichte zu schreiben. Im August wurde ein ukrainischer Blogger vorgeladen, weil er sich auf seiner Internetseite über Janukowitsch lustig gemacht hatte.
Der Geheimdienst hat Mitte August in einem offiziellen Schreiben bestritten, Druck auf die Frauenorganisation ausgeübt zu haben. Daraufhin zogen die Frauen wieder vor den Hauptsitz der Behörde, diesmal symbolisch „bewaffnet“ mit Hammern und Nägeln. Einige Frauen erschienen oben ohne, hatten sich das Wort „festgenagelt“ auf die Brust geschrieben. „Wir haben euch beim Lügen erwischt“, wollten sie damit sagen.