Ungarn

Stark bewölkt

Kinder laufen über den frisch gepflasterten Szechenyi-Platz in der Pecser Innenstadt. Touristengruppen flanieren durch die Fußgängerzone, an vielen Häusern hängen Plakate mit den Kurzbiografien bekannter Pecser Persönlichkeiten. Am Himmel braut sich ein Gewitter zusammen. Über der Kirche, die früher eine Moschee war, türmen sich dunkle Wolken. An den Springbrunnen lungern ein paar junge Medizinstudenten aus Deutschland herum. Der Platz war zur Eröffnungsfeier Anfang des Jahres noch eine Baustelle. „Er ist erst nach der Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres fertig geworden”, sagt der Student Patrick. „Aber wenn hier alles in Gang kommt, wird es bestimmt gut”, glaubt er. „Hier ist immer was los.” Viele Stühle im Kaffeehaus „Koffein” sind noch unbesetzt. Kulturhauptstadt-Manager Csaba Ruzsa deutet zum Himmel. „Das Wetter macht uns etwas Probleme in diesem Jahr”, sagt er. Am Abend soll der serbisch-kroatische Musiker Goran Bregovic vor dem Dom auftreten. Es sieht nach Open Air im Regen aus.

Kulturmanager gaben sich die Klinke in die Hand

Nicht nur das Wetter hat der Kulturhauptstadt Pecs in den vergangenen Jahren Widrigkeiten gebracht. Nachdem die 160.000-Einwohner-Stadt den Zuschlag bei der Bewerbung bekommen hatte, fiel Bürgermeister Laszlo Toller nach einem Autounfall ins Koma. Sein Nachfolger starb nach nur einem Jahr im Amt. Vier Monate lang gab es gar keinen Bürgermeister. Die ursprünglichen Organisatoren des Kulturhauptstadtjahres wurden ausgebootet, die Kulturmanager gaben sich im Halbjahresrythmus  die Klinke in die Hand, der Rechnungshof beklagte Geldverschwendung. „Vor allem das vergangene Jahr war schwierig”, gibt Kulturmanager Csaba Ruzsa zu. Denn im Mai 2009 verloren die Sozialisten die Macht im Rathaus an den Konservativen Zsolt Pava.

Erhoffte Folgeauftritte bleiben aus

Doch wider Erwarten hat sich mit dem neuen Bürgermeister manches zum Besseren gewendet. „Er hat sich persönlich um die Kontakte mit den Kulturschaffenden gekümmert”, sagt Ruzsa. „Die Kommunikation ist besser geworden.“ Das war auch bitter nötig. Denn Pecs trat als Kulturhauptstadt zu Anfang kaum in Erscheinung. Peter Hüvösvölgyi, Gitarrist der Band „Neofolk” hatte Pecs in Essen, der zweiten Kulturhauptstadt dieses Jahres, repräsentiert. Doch das Echo war verhalten, die erhofften Folgeauftritte blieben aus. „Wir haben gespielt, und dann wurden wir noch einmal angerufen, um in Siebenbürgen aufzutreten. Dann war unsere 2010-Karriere vorbei.”

Pecs wirbt mit seinen Minderheiten

Erfahrungen, die auch das Kroatische Theater in der Multikulti-Stadt Pecs zunächst gemacht hat, wie der ehemalige Direktor berichtet. Jetzt präsentiert das Ensemble, das schon seit Jahren mit befreundeten Spielstätten in Kroatien und Bosnien-Herzegowina zusammenarbeitet, Stücke von Tschechow bis Molnar, und zwar gemeinsam mit Schauspielern aus der Partnerstadt Osijek.

Die „grenzenlose Stadt“ – so das offizielle Motto – im Dreiländereck Kroatien-Serbien-Ungarn wirbt mit seinen neun Minderheiten. Die größten Gruppen sind Roma und Donauschwaben. Welche Rolle spielen sie im Kulturhauptstadt- Jahr? „Wir als Deutsche fühlen uns nicht besonders gut vertreten“, sagt Zoltan Schmidt, der der deutschen Selbstverwaltung in Pecs, zu Deutsch Fünfkirchen, vorsteht. „Ohnehin bestehende Programme sind mit etwas Geld bunter gemacht worden“, klagt der Donauschwabe. Anna Kelemen vom Roma-Kulturverein „Bunte Perlen“ widerspricht. „Unsere Minderheit kann sich gut präsentieren, und das schon seit der Bewerbung“, sagt sie. Etwa eine halbe Million Euro von dem zehn Millionen-Etat bekommen die Minderheiten, rechnet Kulturmanager Ruzsa vor.

Kritiker sprechen von „Etikettenschwindel“

 „Etikettenschwindel“, schimpft dagegen Verleger Gabor Csordas. Viele Veranstaltungen, etwa das Theaterfestivel EFOTT, fänden ohnehin im jährlichen Rhythmus statt. Sie würden jetzt einfach mit dem Etikett „Kulturhauptstadt“ versehen. „Aber“, so räumt der Kritiker ein, „es hat der Stadt gut getan – die Plätze, die Straßen sind neu gestaltet.”

Die Großprojekte allerdings sind immer noch nicht fertig. Das Kulturviertel auf dem Gelände der maroden Porzellanfabrik Zsolnay, das Musik- und Konferenz-Zentrum sind noch Baustellen, die Eröffnung ist erst im Herbst geplant. Sie auch nach 2010 gewinnbringend zu vermarkten, das wird die größte Herausforderung, räumt Csaba Ruzsa ein.

Der Bürgermeister ist zuversichtlich

Bürgermeister Zsolt Pava ist zuversichtlich, dass die Strahlkraft der südungarischen Stadt mit mediterranem Flair auch nach 2010 erhalten bleiben wird. „Die Stadt wird bekannter sein, noch mehr Touristen werden kommen“, glaubt er. Im ersten Halbjahr 2010 sind schon 14 Prozent mehr Gäste in die Stadt gekommen, rechnet Csaba Ruzsa vor. Denn auch die Anbindung ist besser geworden. „Wir sind überglücklich, dass die Autobahn Budapest-Pecs (M6) endlich fertig ist“, sagt Ruzsa erleichtert. Noch hört sie bei Pecs auf, aber die 30 Kilometer bis zur kroatischen Grenze sind nur ein Katzensprung.

Mit der Trasse könne Pecs zum regionalen Wirtschaftszentrum werden – mit Ausstrahlung nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina. „Das ist unsere Vision für die Zukunft“, erklärt Ruzsa. Kann das Projekt „Kulturhauptstadt“ auch langfristig zum Jobmotor für die Stadt werden, in der nach der Wende durch die Schließung von Kohle- und Uranminen Tausende auf einen Schlag arbeitslos wurden? Der Manager rechnet vor: Etwa 1.400 Jobs habe die Kulturhauptstadt direkt und indirekt geschaffen – die meisten mit dem Bau der Autobahn. Vielleicht 800 Arbeitsplätze blieben unterm Strich, auch durch neue Hotels und andere Dienstleister im Tourismus. Zu den Streitigkeiten in den letzten Jahren sagt er rückblickend: „Spannung ist gut in einer Kulturhauptstadt. Wenn es keine gibt, passiert nichts.”


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