Estland

Tallinn stoppt Trink-Tourismus

Wenn morgens um halb zehn die erste große Fähre in Tallinn anlegt, reißt der Betrieb im Passagierhafen der estnischen Hauptstadt nicht mehr ab. Seit Estlands Unabhängigkeit vor 19 Jahren haben die Finnen ihr Einkaufsparadies auf der anderen Seite der Ostsee entdeckt. Nach knappen zwei Stunden Überfahrt drängen sich Hunderte unternehmungslustig die Rolltreppen von dem großen Schiff hinunter.

Allesamt sind sie mit großen Rucksäcken oder rollenden Einkaufstaschen ausgerüstet. In Estland sei alles nur halb so teuer wie in Finnland, meint eine junge Frau in Jeans, die mit ihrem Mann und den beiden Töchtern große Taschen geschultert hat. Da könne sie viel Geld sparen und sogar noch essen gehen. „Wir werden heute Käse kaufen, Rotwein, Bier, Wodka und Zigaretten. Die Überfahrt kostet nur 18 Euro. Am Abend fahren wir wieder zurück.“

Mehr als drei Millionen Finnen kommen Jahr für Jahr zum Einkaufen nach Tallinn und setzen viele Milliarden Euro in der Baltenrepublik um. Geld, das Estland eine stabile Wirtschaft beschert und auf dem Weg ins Euroland ab Januar 2011 unterstützt hat. Auf diesen Boom habe die Hafenverwaltung spekuliert, als sie den einstigen Industriehafen aus der Sowjetzeit in einen modernen Komplex umgebaut hat, erzählt Pressesprecher Sven Ratassepp.


ANREISE:
Mit dem Flugzeug: über Riga z. B. mit Airbaltic, Czech Airlines, Lot, Lufthansa oder Finnair, dann mit dem Bus weiter nach Tallin
Mit der Fähre: Die Überfahrt von Helsinki dauert zwei Stunden.

UNTERKUNFT:
Wegen der Krise kann man auch in edlen Hotels günstiger wohnen, z.B. im Hotel Telegraaf mitten in der Altstadt (www.telegraafhotel.com) oder im Viru Inn am Rande der Altstadt (www.viruinn.ee). Auch drei günstigere Hotels sind zentral gelegen und zu finden unter: http://www.uniquestay.com

VERPFLEGUNG:
Estnische Gerichte: Eesti Maja, Lauteri 1
Mittelalterliches Flair: Olde Hansa, Vana Turg 1
Gemütliche Bar mitten in der Altstadt: Controvento, Vene 12


Eigens für die Finnen wurde im Hafen ein zweistöckiger Basar eröffnet, in dem einfach alles zu haben ist. Auf dem Wollmarkt an der alten Stadtmauer decken sie sich auch im Sommer mit handgestrickten Jacken oder Mützen ein. Beliebt sind die Restaurants, die mit deftiger Küche zu günstigen Preisen locken. Der Kellner Sergej zählt auf, was seine finnischen Gäste lieben: Das Bier solle kalt sein, die Fleischportion groß und alles müsse schnell gehen. Vor allem tränken die Finnen Bier und Wodka, viel Bier und viel Wodka, klagt Sergej. „ Das ist doch ein Volk der Alkoholiker. Jeden Tag hab ich mit Betrunkenen zu tun, zum Glück aber ist es nicht mehr so wild wie am Anfang.“

Die Geschichten von den saufenden Finnen hatten nicht nur in Tallinn die Runde gemacht, sondern der estnischen Hauptstadt auch international ein schlechtes Image beschert. Touristen aus anderen Ländern wurden verschreckt, erinnert sich die Reisemanagerin Mari-Liis Rüütsalu. Mancher Wirt hätte den trinkfreudigen Finnen sogar mit großen Schildern den Eintritt verwehrt. Zum Glück seien die Medien der Tourismusbranche zu Hilfe gekommen. Denn über den so genannten Sauftourismus sei auch in Finnland berichtet worden. In den letzten beiden Jahren habe sich das Benehmen der Tagestouristen deutlich gebessert. „Eine Rolle spielt vielleicht auch die globale Wirtschaftskrise“, meint Mari-Liis Rüütsalu. „Viele, die nur trinken wollen, haben heute kein Geld mehr und bleiben einfach weg.“

Im Hafen von Tallinn herrscht auch nach Sonnenuntergang noch Hochbetrieb. Bis in die Nacht bringen die Fähren die finnischen Tagestouristen im Stundentakt zurück nach Helsinki. Morgen früh landen die nächsten wieder an.


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