Bosnien-Herzegowina

Ein Land sucht sich selbst

Am Donnerstag (1. März) erinnert sich Bosnien-Herzegowina an seine vor 20 Jahren erlangte Unabhängigkeit. Zum Feiern ist allerdings kaum jemandem zu Mute. Ein Feiertag ist der 1. März nur in der einen Landeshälfte – im serbischen Landesteil dagegen ist er ein Tag wie jeder andere. Das Referendum, das an diesem Tag im Jahr 1992 zur Unabhängigkeit des Landes führte, hatten die bosnischen Serben boykottiert. Es folgten fast vier Jahre Krieg, der rund 100.000 Todesopfer forderte.

Aber auch nach knapp 17 Friedensjahren ist in Bosnien-Herzegowina noch keine Normalität eingekehrt. Die all-abendlichen Talkshows im Fernsehen zu den immer gleichen Themen zeigen ein Land auf der schwierigen Suche nach seiner Identität. Bei ausländischen Beobachtern herrscht daher Zynismus vor. Für viele von ihnen ist Bosnien-Herzegowina schlicht „nicht lebensfähig“. Auch der Präsident der bosnischen Serbenrepublik, Milorad Dodik, setzt zunehmend unverhohlen auf den Verfall des Landes. Doch eine Perspektive kann auch das nicht sein.

Tatsächlich sind in der Debatte über die Vergangenheit des Landes die Gräben schier unüberwindbar. In den Schulen ist der Geschichtsunterricht streng getrennt: Jede der drei Volksgruppen hat seine eigenen Lehrer und eigene Schulbücher. Viele Politiker des Mehrheitsvolks, der muslimischen Bosniaken, erinnern an die serbischen Kriegsverbrechen und stellen die Legitimität der serbischen Teilrepublik in Frage. Diese wiederum spielt mit dem Ziel der Unabhängigkeit vom Gesamtstaat Bosnien.

Das politische System in dem rund vier Millionen Einwohner zählenden Land ist endlos kompliziert. Praktisch alle politischen Parteien sind in irgendeiner Form ständig an einer der 14 Regierungen beteiligt, fast überall herrschen Viel-Parteien-Koalitionen. „Bosnien ist für einen Politiker in Europa das ideale Land. Politiker müssen sich nicht darum kümmern, was die Bürger zwischen den Wahlen denken und es gibt keine Mechanismen, sie für ihre Politik verantwortlich zu machen“, sagt Kurt Bassuener, Analyst vom Democratization Policy Council in Sarajevo. „Das Land hat die unbeweglichste politische Klasse in Europa.“ Erst 16 Monate nach den Wahlen kam im Februar eine neue gesamtstaatliche Regierung zustande, weil das Geschacher um Posten so lange dauerte.

Der Großteil der Bevölkerung interessiert sich allerdings kaum für diese politischen Machtspiele. Er ist vielmehr mit dem täglichen Überleben beschäftigt. Die Arbeitslosigkeit liegt nach Schätzungen bei 28 Prozent. In den Marktbuden im Zentrum von Sarajevo liegen die Löhne bei etwas mehr als 200 Euro, Rentner erhalten im Schnitt 180 Euro – bei gleichen Lebensmittelpreisen wie in Deutschland oder darüber.

Trotz weit verbreiteter Skepsis setzt die neue Regierung unter dem Vorsitz des ehemaligen Bankers Vjekoslav Bevanda darauf, noch in diesem Jahr grünes Licht für den EU-Kandidatenstatus zu bekommen. „Ich denke, Bosnien ist auf einem guten Weg“, sagte der Sondergesandte der EU, Peter Sorensen, kürzlich. Der Beitritt gilt EU-Diplomaten als bewährtes Lockmittel, um bosnische Politiker zu Reformen bewegen zu können. Tatsächlich kamen auf diese Weise immer wieder Kompromisse in letzter Minute zustande. Ob das allerdings reicht, ist fraglich. Immerhin läuft dem Land die Zeit davon, denn der Abwanderungsdruck der jungen Generation ist ungebrochen.

Noch gelingt es der politischen Klasse mit Hilfe von Fernsehen und Zeitungen, die Bevölkerung mit populistischen und nationalistischen Parolen zu beeindrucken. Zudem herrscht formell noch immer eine internationale Aufsicht über das Land. Derzeit hat das Amt des „Hohen Repräsentanten“ der Österreicher Valentin Inzko inne.

„In den letzten Jahren war Bosnien mehr ein Protektorat als ein souveräner Staat“, sagt Husnija Kamberovic, Direktor des historischen Instituts an der Universität Sarajevo. „Es ist ein Land, im Inneren zerrissen und mit einer zerstörten Wirtschaft. Seine politische Elite hat keine klare Zukunftsvision für das Land. Die meisten Intellektuellen und viele Politiker behaupten, Bosnien könne wegen diesen Unterschieden und der Zerrissenheit nicht überleben.“

Kamberovic dagegen will die Hoffnung nicht aufgeben. „Unterschiede können auch ein Plus sein. Es wird eine Generation kommen, die etwas Neues aufbauen wird und wieder eine höhere Lebensqualität ermöglicht. Dieses Land wird uns noch alle überleben“, meint er.


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