Rumänien

Die Geisterstädte der Steinkohle

Der Zug fährt quer durch die Karpaten, schlängelt sich langsam den Fluss entlang. Einst war dies eine der berühmtesten Bahnstrecken des Landes, und zwar nicht nur dank des atemberaubenden Ausblicks. Damit die Steinkohle schneller in die neuen Kraftwerke und Fabriken kommt, hatten die Kommunisten 1948 ein gigantisches Bauprojekt im Schiltal begonnen. Tausende junge Männer aus dem ganzen Land wurden Fünfjahresplan nach Fünfjahresplan dorthin geschickt. Es galt, die Schwerindustrie auszubauen und Rumänien unabhängig von Energieimporten zu machen. In Gedichten schwärmte die sozialistische Propaganda vom Titanen-Kampf der Arbeiterklasse gegen die Kräfte der Natur. 55.000 Mitarbeiter beschäftigte das Steinkohlekombinat in Petrosani noch 1989, die jährliche Produktionszahl lag bei 15 Millionen Tonnen.

Heute produziert es nur noch 2,3 Millionen Tonnen im Jahr, die Anzahl der Mitarbeiter ist auf 8.800 gesunken. Erst im April wurden fast 1.500 Arbeiter entlassen, und die Perspektiven für die Zukunft sind nicht weniger düster. Nach der Wende musste die Bergbauindustrie in Rumänien immer wieder mit massiven Subventionen unterstützt werden, der Abbau von Steinkohle lohnte sich nicht mehr und das Geld für Investitionen fehlte. Ab dem kommenden Jahr aber darf der Staat laut der EU-Beitrittsvereinbarung den Bergbau nicht mehr subventionieren.

Das Schicksal des Bergwerks in Petrosani ist deshalb ungewiss. Direktor Constantin Jujan hofft, dass das Werk in einen großen staatlichen Energiekonzern integriert wird, damit seine Verluste durch die vielen rentablen Wasserkraftwerke ausgeglichen werden können. Nur so könne das Endprodukt zum profitablen Energie-Mix werden, sagt Jujan. Angesichts der tiefen Defizitkrise zeigt sich das Wirtschaftsministerium allerdings eher skeptisch. Schließlich schuldet das marode Bergbauunternehmen dem Staat mehr als eine Milliarde Euro.

Der Direktor will optimistisch bleiben, doch ist er offensichtlich besorgt. Demnächst steht ein Treffen mit der Gewerkschaft auf der Agenda und die Vertreter der Bergarbeiter sind über die jüngst angekündigten Kürzungen im öffentlichen Sektor wenig erfreut. Doch selbst der einst gefürchtete Gewerkschaftsbund hat in den vergangenen 20 Jahren an Bedeutung verloren.

Noch 1990 hatte das ganze Land auf sie geschaut: Bergarbeiter aus dem Schiltal machten sich damals auf den Weg nach Bukarest, um Reformen zu verhindern und Proteste der demokratischen Opposition zu unterdrücken. Der damalige Staatspräsident Ion Iliescu und seine reformierten Ex-Kommunisten hatten bei den ersten freien Wahlen mit großem Abstand gesiegt, doch die neuen Reformparteien erkannten das Wahlergebnis nicht an. Demonstranten blockierten fast zwei Monate lang den Bukarester Universitätsplatz.

Am 14. Juni 1990 verkündete das Staatsfernsehen überraschend, tausende Bergarbeiter seien in Bukarest eingetroffen, um der Regierung bei der Räumung des Universitätsplatzes zu helfen. Mindestens vier Anhänger der Opposition kamen am 14. und 15. Juni 1990 ums Leben, fast 800 Studenten, Akademiker und junge Demonstranten wurden verletzt. Regierungsgegner wurden auf offener Straße zusammengeschlagen, Bergarbeiter und Polizisten brachen in ihre Wohnungen ein, raubten Geld und zerstörten Universitätslabors. Die Bilder der Gewalt sorgten international für Empörung.

Am kommenden Dienstag (15. Juni) gedenken die Bukarester der Opfer, auch wenn 20 Jahre später immer noch nicht geklärt ist, was in jenen Tagen genau passierte. Der ehemalige Präsident Iliescu, der in der Öffentlichkeit als Hauptverantwortlicher für die Gewaltakte gilt, bestreitet bis heute, den Einsatz der Bergarbeiter heimlich organisiert oder gebilligt zu haben. Ein erneuter Versuch, als Protestaktion einen Aufmarsch auf die Regierungszentrale in Bukarest zu organisieren, wurde 1999 entschieden durch Polizei und Militär gestoppt. Der damalige Anführer der Gewerkschaft, Miron Cozma, saß wegen versuchten Staatsstreichs jahrelang im Gefängnis. Jetzt ist er wieder frei und sympathisiert mit den Rechtsextremen. Im Bergbaugebiet darf er sich nicht mehr aufhalten.

Die alte Bergbaustadt Petrosani hätte Potential für Tourismusunternehmen, glaubt Bürgermeister Tiberiu Iacob-Ridzi. Das Gebiet zieht nicht nur durch seine malerische Berglandschaft, sondern auch durch beliebte Skigebiete Besucher an. Doch die Straßen im Schiltal sind schlecht und Investoren rar. Die knapp 50.000 Einwohner Petrosanis leiden unter Arbeitslosigkeit und bitterer Armut. Das vom rumänischen Staat garantierte Mindesteinkommen von umgerechnet 25 Euro im Monat reicht zum Leben gerade einmal für drei Tage. Vielen Einwohnern haben die Gas-, Strom- und Wasserversorger bereits vor Jahren wegen Zahlungsverzugs die Verträge gekündigt. Doch Bürgermeister Iacob-Ridzi, Mitglied der regierenden Mitte-Rechts-Partei PDL, zeigt sich optimistisch. Er ist stolz auf seine ersten EU-finanzierten Infrastrukturprojekte: Nach dem EU-Beitritt Rumäniens wurden ein paar marode Häuser saniert und neue Straßen gebaut. Doch Investoren aus der Tourismusbranche lassen weiter auf sich warten.


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